Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
sagte er mit ge senkter Stimme. »Bist du bereit, auf mich zu hören? Denn jede kleine Entscheidung erst erklären zu müssen ist Zeitverschwendung, und Debatten werden Tilly nur nervös machen. Wir müssen Einigkeit demonstrieren, verstanden? Ich muss dich auf meiner Seite haben.«
Der drahtige Mann zögerte, was wahrscheinlich nur recht und billig war. Chris fragte sich, ob er an Jamesons Stelle sich selbst vertraut hätte.
»Ja, Doc. Ich bin dabei.« Jameson wirkte ohne seinen üblichen Satz Messer und mit dem ordentlichen Maß Angst, das aus seinen Augen sprach, gar nicht so furchterregend. Offenbar konnte er nicht gut damit umgehen, sich hilflos zu fühlen.
»Jetzt wäschst du dir jedenfalls die Hände, bevor du sie berührst. Los. Dann setzt du dich zu ihr.«
Viv und Rosa kamen kurz darauf mit ebenso aufgeregten wie besorgten Mienen herein. Chris ließ den Blick einen Herzschlag länger als nötig auf Rosa ruhen. Sie hatte sich umgezogen – eine frische Cargohose, ein frisches Hemd. Ihr Haar war zurückgebunden und so straff geflochten, wie er es noch nie bei ihr gesehen hatte.
Sie sah ihn nicht an.
Das ist nicht gut.
Aber er schob seine Enttäuschung für später auf.
»Ich brauche abgekochtes Wasser – mindestens ein paar Liter«, sagte er.
»Ich kümmere mich darum«, antwortete Viv und eilte hinaus.
»Rosa, wasch dir die Hände. Du überprüfst, wie weit sich ihr Muttermund schon gedehnt hat.«
»Was? Warum ich?«
»Du hast kleinere Hände. Das tut ihr weniger weh.«
» Madre de Dios «, murmelte sie und bekreuzigte sich. Dann blinzelte sie, als hätte die reflexartige Gebärde sie überrascht. »Gut.«
Tilly stöhnte. Chris und Rosa kehrten ins Schlafzimmer zurück und sahen, dass Tillys Augen nach oben verdreht waren und ihr Körper steif wie ein Brett war. Jameson krümmte sich unter ihrem kräftigen Griff. Aber diesmal schrie sie nicht. Vielleicht funktionierten die kleinen Tricks. Chris hoffte verzweifelt, dass sie es taten.
»Oh!«, keuchte Tilly.
Ihr platzte die Fruchtblase.
»Ach du Scheiße«, sagte Chris. »Vielleicht musst du sie gar nicht mehr untersuchen.«
»Jameson, habt ihr noch ein paar Decken?«, fragte Rosa.
»Hier, unter dem Bett.«
Während Rosa und Jameson frische Decken unter Tillys Gesäß zwängten, trat Chris wieder neben das Bett, beugte sich tief über das Gesicht der kreißenden Frau und zwang sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen, obwohl sein Puls sich wahnsinnig beschleunigt hatte. »Du sagst mir Bescheid, wenn du bereit bist zu pressen, ja? Wir vertrauen alle darauf, dass dein Körper weiß, was er tun muss.«
»In Ordnung.« Sie umfasste seinen Unterarm. »Doc?«
»Ja?«
Was sie auch hatte sagen wollen, erstarb ihr auf den Lippen. Sie starrte einfach zu ihm empor, und ihr Gesichtsausdruck zeugte von mehr Vertrauen, als irgendein Mann es verdient hatte. Chris kämpfte gegen den Drang an, den Blick abzuwenden. Das hier war nicht sein Job, nicht sein Leben. Es war ein sonderbarer Traum, in dem eine schmerzgepeinigte werdende Mutter und ihr verängstigter Geliebter sich darauf verließen, dass er für das Überleben ihres Babys sorgen würde.
Aber sonst gab es keinen, der sich darum hätte kümmern können.
Chris nickte nüchtern ein einziges Mal, wie um anzuerkennen, dass sie ein Versprechen von ihm erwartete – ein Versprechen, das er nicht geben konnte. Stattdessen sagte er: »Du machst das großartig.«
Viv hatte Ingrid hinzugerufen, da sie die Kraft hatte, literweise abgekochtes Wasser hereinzuschleppen. Die Frauen machten alles für das Neugeborene bereit: Waschlappen, Handtücher, eine sterilisierte Nadel und Schere, Faden und eine Auswahl winziger Kleider, die Singer genäht hatte. Tilly ertrug den Schmerz, wie er kam, aber es war mittlerweile viel besser um ihre Fähigkeit bestellt, sich zu konzentrieren und die Wehen durchzustehen.
Die Luft im Raum war stickig, da sich dort fünf Körper drängten, die eine ordentliche Ladung zusätzlicher Wärme hervorbrachten. Chris trat in die Küchenecke hinaus und wischte sich die Stirn mit einem Lappen ab, bevor er ein Fenster öffnete. Eine sanfte Brise strich über sein Gesicht. Sie war zwar warm, aber besser als nichts.
Rosa kam zu ihm. Sie sagte nichts, sondern stand nur da. Die Besorgnis überlagerte ihr Gesicht wie eine Maske. Jameson war nicht der Einzige, der es nicht gewohnt war, sich hilflos zu fühlen.
»Was soll ich tun?«, fragte sie.
»Warten.«
»Ich hasse es zu
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