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Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)

Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)

Titel: Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Connor
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paar Minuten ging es ihr noch gut. Dann hat sie die Nerven verloren.«
    Chris nickte und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Tilly lag auf dem Rücken auf einer Tagesdecke, die ihre Fäuste schon zerknittert und zerknautscht hatten. Für eine Frau, deren Wehen vor Kurzem eingesetzt hatten, sah sie noch recht frisch aus, aber ein zweiter Aufschrei binnen zwei Minuten deutete darauf hin, dass jetzt alles sehr schnell gehen würde.
    »Hallo, Tilly«, sagte Chris und kniete sich neben ihr Bett. Er strich ihr das verfilzte blonde Haar aus der Stirn. Sie zerquetschte ihm die freie Hand mit mörderischem Druck. Erst als die Wehe vorüber war, versuchte er, wieder mit ihr zu sprechen. »Ich schätze, heute hat jemand Geburtstag.«
    »Vermutlich.« Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Hast du auch alles für eine Epiduralanästhesie dabei, Doc?«
    »Nein, tut mir leid. Du wirst es machen müssen wie die Höhlenmenschen.«
    »Oje. Ich glaube, das kann ich nicht.«
    »Natürlich kannst du das. Du bist dafür gebaut. Das ist jede Frau.«
    Früher war das einmal wahr gewesen, aber die Evolution der modernen Frau im Zeitalter des Kaiserschnitts hatte der Menschheit jede Möglichkeit genommen, diese Eigenschaft zu bewahren. Er hatte das Gleiche bei in Gefangenschaft gehaltenen Tieren erlebt, die immer unfähiger wurden, ohne menschliches Eingreifen zu gebären. Der Wandel würde eine schnelle Umkehr dieses Trends erfordern, sonst würden Höllenhunde, Gestaltwandler und Entbehrungen nicht die einzigen Bedrohungen für das Überleben der Menschheit sein.
    Hier und jetzt gab es keine chirurgische Lösung – zumindest keine, die Mutter und Kind beide überleben würden. Chris zeigte eine zuversichtliche Miene, weil er wusste, dass die Angst Tilly sonst den Garaus machen würde.
    »Halt einfach mit mir durch, okay?«
    Sie nickte, wirkte aber nicht überzeugt.
    »Hör zu«, sagte Chris. »Wenn du nachts Angst hast, wenn du dich vom Wandel überwältigt fühlst, wohin gehst du dann innerlich? Woran denkst du?«
    Tilly ließ den Kopf aufs Kissen sinken und reckte das Kinn zur Zimmerdecke. Sie schluckte. »Ich stelle mir vor, am Strand in Cape Cod zu sein. Dahin sind wir immer im Sommer gefahren und haben einige Monate bei meiner Großmutter verbracht. Als der Wandel über die Ostküste hereinbrach, sind wir geflohen. Ich habe Cape Cod nie wiedergesehen. Aber, mein Gott, es war schön dort. Ich denke immer noch daran, wie klar das Wasser war.«
    Chris grinste bei sich. Nur in der Welt nach dem Wandel konnte ein Mädchen aus der Oberschicht wie Tilly sich mit einem tätowierten Schlägertypen wie Jameson zusammentun. Der Kontrast gefiel ihm, obwohl die Schatten, die über ihrer Lieblingserinnerung lagen, schwer auszublenden waren.
    »Gut«, sagte er leichthin. »Das ist gut. Wenn du das nächste Mal spürst, wie die Schmerzen einsetzen, atmest du bitte so langsam, wie du kannst, durch die Nase und kehrst nach Cape Cod zurück. Verstanden? Und ich gebe dir Jamesons Hand. Du brichst sie ihm, wenn es sein muss.«
    Das brachte sie zum Lachen.
    »Nein, warte. Jameson, hast du einen Kamm? Etwa handflächengroß? Irgendetwas in der Art?«
    Der Mann stöberte in ihren Habseligkeiten herum und kehrte dann mit einem kleinen schwarzen Plastikkamm zurück.
    Chris drückte ihn Tilly in die Hand, sodass die Zinken sie in die Handfläche stachen. »Wenn der Schmerz einsetzt, zerquetschst du den hier zu Brei, kapiert?«
    »Was zur Hölle soll das bewirken?«, fragte Jameson.
    »Denk mal daran zurück, als dir das letzte Mal eine Kugel herausgeschnitten werden musste.« Für Chris stellte sich gar nicht die Frage, ob seine Annahme, dass Jameson irgendwann einmal solch eine Operation benötigt hatte, zutraf. Es schien unter den Bravos eine typische Verletzung zu sein. »Hast du da auf etwas gebissen?«
    »Klar.«
    »Haben dich die Zahnschmerzen ein bisschen abgelenkt?«
    »Ja.«
    »Der Körper kann nur die Informationen einer bestimmten Anzahl von Nervenenden auf einmal verarbeiten. Wenn Tilly sich auf den Schmerz in ihrer Hand konzentriert – einen Schmerz, den sie beherrschen kann –, dann lenkt er sie von den Wehen ab.« Er lächelte zu Tilly hinunter. »Einen Versuch ist es jedenfalls wert.«
    »Klar, Doc«, flüsterte sie.
    Nachdem sie noch eine Minute von Tillys Leid durchgestanden hatten und sich ihre Faust um den kleinen schwarzen Kamm gekrampft hatte, zog Chris ihren Partner in die Küchenecke hinüber.
    »Ich muss etwas wissen, Jameson«,

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