Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
durfte sie diesmal nicht lügen und musste sagen, dass sie noch gar nicht angefangen hatte. Und dass sie noch überlegen musste.
    Immer noch? Würden die Eltern sagen, immer noch? Wie lange willst du denn noch überlegen? Dein ganzes Leben lang?
    Ich will hierbleiben, dachte Lotta. Sie erschrak selbst über diesen klaren Gedanken. Sie sah noch einmal in den Spiegel, kämmt ihr Haar und flocht es zusammen. Sie sah sich in die Augen. Und dann wiederholte sie es. Es stimmte.
    Ich will hierbleiben, sagte sie laut und deutlich.

Als der Schreiner Siegmund Brecht   die Tür zum Zimmer von Klara Eisbrenner öffnete, erschrak er.
    Drinnen saßen Nora Eisbrenner, Marie-Louise Eisbrenner, Heribert Thalbach, Änne Metternich und noch drei Verwandte, die der Schreiner noch niemals gesehen hatte. Bei so viel Verwandschaft fühlte Siegmund sich sofort unwohl. Er hatte sich schon immer unwohl gefühlt, wenn diese Leute im Hause Eisbrenner aufgetaucht waren, zu Geburts- oder Feiertagen. Gottseidank kam das immer nur einmal im Jahr vor, später fast gar nicht mehr. Jetzt aber waren sie aus allen Löchern aufgetaucht und hatten sich eifrig und hoffnungsvoll um Klara Eisbrenners Bett versammelt und starrten ihr gemeinschaftlich ins Gesicht, als könnte ihnen beim baldigen Ableben der lieben Klara noch irgendetwas entgehen.
    Siegmund Brecht warf einen Blick auf seine bleiche, bewusstlose Chefin mit jener Wunde auf dem Kopf, er schluckte, er murmelte etwas, verbeugte sich ungeschickt und sagte:
    Ich komme später noch mal wieder.
    Betrübt ging er in den Aufenthaltsraum und setzte sich auf den krümeligen Platz neben Alwis.
    Deddeddeddei, sagte Alwis.
    Freut mich, sagte Siegmund Brecht. Er stöhnte. Alwis sah einen alten Heimatfilm und sagte:
    Gib mir Brötchen.
    Ich hab keins, sagte Siegmund.
    Deddeddeddei.
    Eine Stunde wartete Siegmund. Dann noch eine. Er sah auf die Uhr. Sprach stille Gebete. Sah, wie die Schwestern das Abendessen in die Zimmer verteilten, sah, wie sie es wieder abräumten. Hörte einer kleinen, runden Frau zu, die ihm erzählte, sie sei das älteste Sotzbacher Mädchen und sie sei hier geboren, hier im Haus und sie habe fünf Kinder geboren. Er lauschte, wartete, sah in die Bildzeitung. Aber die Verwandschaft blieb. Hartnäckig, wie angewachsen, saßen sie da drinnen und starrten die arme, bewusstlose Chefin an. Wer weiß, ob diese jemals die Augen wieder aufschlug.
    Sehr schwach, hatte die Schwester gesagt. Der Arzt sei da gewesen. Das Herz, wissen Sie?
    Der Gedanke, dass die gemeine Mischpoke in Pelz und Leder jetzt an Klaras Seite wachte, während er, Siegmund, verbannt war, erbitterte ihn außerordentlich. Jeden Tag hatte er sich um sie gekümmert. Jeden Tag geprüft, ob sie die Herdplatten angelassen hatte, ob sie vom Friedhof wieder heil nach Hause gekommen war, dass sie am Freitag zum Friseur gehen konnte für die Wasserwelle. Alles hatte er für sie getan, alles. Jetzt aber, in der allerletzten Stunde ihres Lebens, kamen die ganzen vermaledeiten Tanten anmarschiert und vertrieben ihn wie einen Hund.
    Im Grunde genommen hatten sie ja gar nichts gesagt. Er war freiwillig gegangen. Aber er hatte einen Kloß im Hals und einen Widerwillen, dagegen konnte er nichts tun, es war viel stärker als er. Sollten die da drinnen noch so schön und liebenswürdig tun: Er traute ihnen nicht. Keinem von ihnen.
    Einen Augenblick wartete er noch. Nur noch einen und noch einen. Dann gab er auf. Er nahm seine Kappe, setzte sie auf und ging.
    Auf Wiedersehen, sagte er.
    Deddeddeddei, sagte Alwis.

Rosalinde   hatte nichts weiter gesagt. Kein Wort. Lotta übrigens auch nicht. Und Kevin? Kevin hatte gesagt, dass er morgen krank macht. Weil er so fertig ist. Dann könne er, Ivy, mal für ihn arbeiten. Ganz einfach.
    Ivy fluchte. Sah schlecht aus für ihn. Er tastete nach seinem Handgelenk, die fehlende Uhr störte ihn. Die Uhr war weg. Er hatte sie doch wohl nicht im Eckenseppel liegen gelassen? Da noch mal hingehen? Uähh, nein danke. Allein der Gedanke an die Frittenküche, in der er mit Jeff, … überhaupt. Jeff. Wie stand er denn zu Jeff?
    Sex. Es war der reine Sex. Und auch das widerte ihn an. Ivy lag auf seinem Bett und wenn er an die Nacht dachte, sah er nur noch bleiche, haarige Knie vor sich, ein orgiastisch verzerrtes Maul, eine Schmelzfettlage auf Jeffs Rücken und er schmeckte ein Tequilarülpsen. Alles trübe Soße, alles abgestandenes Frittenfett, alles Erinnerung kurz vor dem Übergeben. Obwohl es ihm in dem Moment

Weitere Kostenlose Bücher