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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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flatternden Wimpern, die bleichen Wangen, vor allem aber: der unnatürlich gerötete Mund, beinahe hätte sie Maul gedacht, ein gefräßiges Mick-Jagger-Maul, beinahe aufgerissen, die Haut aufgesprungen, hatte er sich blutig gebissen oder was? Dieser mit Pusteln umsäte Schlund rastloser Begierde …
    Puh!
    Lotta schüttelte sich vor Ekel. Von einer Sekunde zur anderen kochte sie vor Wut – weil Ivy sich nach ihrem für ihn wohl enttäuschenden leiblichen Beitrag vorgestern Abend auf der Stelle einer erträglicheren Lustquelle zugetan hatte. Lügenmaul, zerbissene Schnute, Lutschmund, ausgesaugte Lippenlappen, zerschundene Fresse. Ja. Lotta wiederholte es stumm. Zerlutschte Fresse. Sie hätte ihn erwürgen können. Schwein.
    Ivy sah sie ratlos und hilfesuchend an. Doch Lotta starrte nur unter sich.
    Verschissen, dachte sie. Er hat es verschissen. Peng.
    Wütend und wortlos rauschte Lotta an ihm vorbei aus dem Fahrstuhl, zog den scheppernden Wagen hinter sich her und fuhr ihm über den Fuß.
    Aua, sagte Ivy.
    Tut mir leid, wollte Lotta sagen. Aber dann sagte sie es nicht, sonst wäre sie daran erstickt. Viel lieber wollte sie ihm noch mal über die Füße fahren und ihm mit der anderen Seite vom Wäschewagen auch noch in die Seite brummen. Verdient hatte er es in jedem Fall. Noch ein Wort -und sie würde ihn mit dem Wäschewagen umbringen.

Blaufuchs  . Die leicht dickliche Nora Eisbrenner schwebte in einem zauberhaften Blaufuchs über die Gänge. Ihr karmesinroter Lippenstift glänzte feucht und ihre Gucci-Schuhe klapperten den Gang hinunter, als sie endlich Gianna in deren Sturmschritt mit fliegendem Kittel anhalten konnte.
    Verzeihen Sie, hier muss eine Tante von mir liegen, Frau Eisbrenner, Frau Klara Eisbrenner.
    Ja, gucke Sie, sehe Sie in Zimmer 311. Einfach klopfe, einfach reingehe, vielleichte sie kann nichte öre.
    Wieso kann sie nicht hören? Sie hört doch eigentlich ganz gut.
    Aber Frau Eisbrenner iste auf Kopfe gefalle. Ate Fieber. Gehte nicht gut. Schläfte ganze Tag und isste nicht.
    Gianna wollte noch sagen, dass alles die Schuld der Station war, weil sie Frau Eisbrenner in das Zimmer der Frau Wissmar gelegt hatten, die so lange da gelebt hatte, dass ihr Geist die Anwesenheit von Frau Eisbrenner nicht ertragen konnte. Aber dass die selige Frau Wissmar Frau Eisbrenner schon in der ersten Nacht aus dem Bett schmeissen würde, damit hatte auch sie nicht gerechnet. Am liebsten hätte Gianna Frau Eisbrenner in ein anderes Zimmer geschoben, aber da war kein Platz.
    Macke keine Sorge um Tante, sagte Gianna. Aber vielleichte gehte sehr schnell zu Ende.
    Nora Eisbrenner starrte Gianna an und man konnte nicht erkennen, ob es ein erschrockenes oder ein seltsam fasziniertes Starren war. Aber Gianna hatte zu tun und eilte weiter, während sie sich ununterbrochen mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn wischte.
    Macke keine Sorgen!, rief sie noch.
    Nora Eisbrenner hielt einen Moment inne, setzte dann ein Lächeln auf und klopfte an die Tür. Tatsächlich rief niemand »Herein« und so segelte sie begeistert in das Zimmer hinein.
    Tante Klara!, flötete sie. Tante Klara!
    Einen Augenblick war sie berührt und verlegen, als die gute Tante aus Kindertagen so seltsam apatisch im Nachthemd dalag. Ihre Wangen waren eingefallen, sie trug keine Brille und das Gebiss war auf einmal zu groß für das schmale Gesicht. Auf dem Kopf war eine Stelle rasiert und ein Verband darüber geklebt. Die Stirn war bläulich verschwollen bis zum Auge.
    Oh Gott, Tante! Aber Tantchen!
    Aufgeregt eilte Nora Eisbrenner zum Bett und vom Ausatmen flog ihr etwas Pelzgefieder ins Gesicht und klebte am Lippenstift.
    Die Tante schien tief zu schlafen. Es geht bald zu Ende, hatte die italienische Schwester gesagt.
    Aber Tante Klara! Wie konntest du denn einfach so ins Pflegeheim gehen – ohne deiner Verwandschaft Bescheid zu sagen! Gut, ich hatte nicht so viel Zeit für dich, das Geschäft, du weißt! Aber das ist doch ein sehr wichtiger Schritt, hör mal! Und ich bin deine Nichte! So was kannst du doch nicht einfach so machen!
    Nora Eisbrenner zog sich einen Stuhl herbei, entfernte die Flusen von ihren Lippen und betrachtete ihre Tante ganz genau. War da eine Trübung in den Augen? Sie hob leicht deren Lider. Tatsächlich! Eine Trübung! Auch schien ihr die Haut plötzlich sehr gelb zu sein. Ja ja, wenn man genauer hinsah: richtig gelb. Die gute Tante, die Besitzerin des größten Antiquitätengeschäftes am Dom, die vermögende Witwe des

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