Die letzten Dinge - Roman
besessenen Sammlers, der aus dem Bombardement nur drei Möbel gerettet hatte: eine chinesische Truhe, einen Barock-Kleiderschrank und einen Chippendale-Stuhl. Und damit hatte er stur das Geschäft wieder aufgebaut. Alles verloren und wenige Jahre später stand der Laden wieder da, als sei er durch die Jahrhunderte unberührt geblieben, als sei das Haus viele hundert Jahre alt und das war es auch. Sie empfanden es so. Die ganze Verwandschaft. Jetzt war der Mann hin und die Witwe bald ebenfalls.
Verstohlen schaute Nora Eisbrenner sich um. Der Frankfurter Wellenschrank! Mindestens 8000 Euro wert. Die schwäbische Gründerzeitkommode? Mindestens … also wenigsten 4000 Euro.
Was geschah jetzt mit dem Haus? Jemand musste sich doch um das Haus kümmern. Auf der Rückseite wohnte noch dieser Schreiner. Ob der die Schlüssel zum ganzen Haus hatte? Natürlich, diesen Schreiner ließ sie doch machen, was er wollte! Der hatte sie auch bestimmt angestiftet, in das Heim zu gehen, wer weiß, was er vorhatte! Nora musste sich schleunigst um das Haus kümmern! Hoffentlich merkten die anderen Verwandten nicht so schnell, wie es um Tante Klara stand. Wenn Nora es schaffte, dem Schreiner die Schlüssel wegzunehmen, dann konnte sie sich ja im Haus noch einmal unauffällig umschauen. Ihr Blick fiel auf den Schirmständer.
Der Schirmständer! Das war ein edles Sammlerstück, dieser Schirmständer mit dem Gemälde einer Hirschjagd, dieser Schirmständer war ein Vermögen wert! Und der Schmuck! Nora Eisbrenner geriet außer sich. Klara Eisbrenner hatte doch wertvollen Schmuck! Und sie trug immer nur die olle Bernsteinkette mit der Mücke drin. Wo hatte sie wohl den Schmuck untergebracht? Verstohlen zog Nora an der Nachttischschublade. Öffnete mal eben eine Schublade der Gründerzeitkommode … Unterhosen. Nur Unterhosen! Riesige, olle Teile. Klara Eisbrenner. Sie war eine vorsichtige Frau, Nora überlegte fieberhaft. Wo könnte sie ihn hingetan haben? Ob das Haus einen Safe hatte? Wie konnte sie sich erkundigen, ohne einen schlechten Eindruck zu machen?
Hm, sie musste nur nachdenken. Was waren die nächsten Schritte? Nora Eisbrenner zog den Mantel aus und legte ihn über den Stuhl. Ihr war heiß geworden vor lauter Nachdenken, aber es war auch sehr warm im Pflegeheim. Sehr warm.
Klara aber fühlte sich eher kühl an. Eifrig griff Nora noch einmal nach ihrem Arm. Recht kühl. Hm. Aufgeregt überlegte Nora, was es für sie bedeuten könnte, wenn Tante Klaras Arm über Nacht noch kühler wurde und immer kühler, bis er endlich … Nora bekreuzigte sich. Man durfte sich ja nicht versündigen. Nein, das wollte sie nicht. Jedenfalls nicht so, dass es einer merkte.
Pater Ludolfus lachte leise. Pfarrer Fliege! Er musste öfter lachen über Gottes Eingebungen, die er nichtsdestotrotz immer befolgte. Pfarrer Fliege!
Er sah ins Fernsehprogramm, aber aus der Zeitschrift ging das Thema des heutigen Tages nicht hervor. Ludolfus fläzte sich in dem Fernsehsessel, das Telefon neben sich, falls er gerufen wurde, und dann drückte er auf die Fernbedienung und las erst einmal den Teletext: Aha. Thema der Sendung war: Geistheilung – gibt es das wirklich? Zu Gast waren die Hausfrau Maria Schulttheiss, die durch Handauflegen von einer schweren Arthristis geheilt worden war. Dann Lilo von Kiesenwetter, die Seherin vom Rhein, die Krankheiten einfach sah. Dann eine Feng-Shui-Meisterin, die Räume »klären« konnte, wenn negative Energien Unwohlsein hervorriefen. Ein Vertreter der bischöflichen Diözese Limburg, der jeglichen Aberglauben auf diesem Gebiet entlarven konnte. Und dann eine Frau Rittmeister, die von Kindheit an sowohl heilen konnte, als auch mit ihren jenseitigen Angehörigen sprach, als seien sie im Raum. Sie konnte sozusagen Geister sehen.
Pfarrer Fliege begrüßte mild und mit vorgebeugtem Oberkörper seine Gäste und stellte sie dem staunenden Saalpublikum vor, das artig applaudierte. Ludolfus stellte plötzlich die Sessellehne aufrecht, denn ihm war, als hätte Frau Rittmeister ihm vom Bildschirm aus zugezwinkert. Rittmeister, Rittmeister. Ludolfus überlegte, er kannte doch so viele Rittmeister! Tatsächlich hatte er mit einem liebenswürdigen Herrn Rittmeister ein Seminar in Münster besucht, war schon eine Weile her, Rittmeister, das konnten Rittmeisters aus Mainz sein! Fasziniert und begeistert lauschte Ludolfus der Dame, die so einfach und bescheiden von ihrer Gabe sprach. Wie sehr sie sich als Kind geschämt hatte, wenn sie
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