Die letzten Dinge - Roman
seinen Hintern.
Aber na klar, Herr Kurtacker, sie hat ’ne untere Partie und eine obere Partie und eine Anatomie wie eine Straußmelodie!
Und … und … Strapse??
Bestimmt, Herr Kurtacker.
Lotta war schon in der Tür.
Und wird sie auch bestimmt kommen?
Sie hat es versprochen.
Und – wird sie sich das nicht noch mal überlegen?
Dann holen wir eine andere, da steht die ganze Straße voll.
Damit schien Kurtacker zufrieden. Er schob wieder beide Hände zwischen seine Knie und sah versonnen vor sich hin. Dann dachte er: aufräumen. Das Mädel wollte noch bei ihm aufräumen. Seine Mutter hatte ganz recht, er war ein Schwein. Dieses alte Kissen auf dem Boden konnte er auch selber wegtun. Wenn er mit dem Rollstuhl heranfuhr und es auf seine Knie legte, dann zum Schrank fuhr und ihn aufmachte, dann konnte er das Kissen hineinlegen. Oder aus dem Fenster schmeißen. Wenn er es sich genau überlegte, konnte er einiges machen. Sie hatten ihn früher gefragt, ob er nicht zum Kartenspielen kommen wollte, ob er nicht Sport oder Musik mitmachen wollte. Ob er vielleicht malen oder auf Ausflüge gehen wollte. Natürlich, Kurtacker sah manchmal im Fernsehen, wie andere Behinderte Baseball spielten in den Rollstühlen, wie sie ihre Muskeln noch einmal aufgebaut hatten und in WGs zusammenwohnten. All das hatte Kurtacker schon gesehen. Aber er haderte und er hatte Wutanfälle. Und wenn man haderte und die wilde Wut in sich trug, dann konnte man nicht malen gehen oder so einen Quatsch. Er wollte keine Kränze basteln. Er wollte – er wollte! Nasse Lustweiber aus aller Welt. Das wollte er und sonst gar nichts. Und morgen kam eines. Sie kam, sie kam schon bald! Sollte er schöne Musik machen? Welche Musik hatte er denn noch, außer AC DC und Led Zeppelin und Death Row? Er sollte einmal nachsehen. Aber vorher konnte er noch versuchen, die Klamotten aus dem Weg zu räumen. Wenn er immer eines nach dem anderen nahm und zum Schrank fuhr, dann konnte er dieses Hemd und die alte Hose und die Bildzeitungen nehmen und wegbringen. Wenn er sich Zeit ließ, dann konnte er helfen, die Stube schön zu machen, das Bett zu richten, die Figuren aus den Überraschungseiern neu zu ordnen. Er konnte in der finsteren Bude ein schönes Licht zaubern, Rasierwasser auflegen und vielleicht Uriah Heep auflegen oder am besten »Titties and Beer« von Frank Zappa.
Hoffentlich hatte er seine Wutausbrüche im Griff. Er musste daran denken, wie er im letzten Jahr den Nikolaus aus dem Zimmer gefeuert hatte. Wie er gesagt hatte: Hau ab, du Sau! Zum Nikolaus! Hinterher hatte er bei Rosalinde geheult, aus Reue. Weil er so ein schlechter Mensch war.
So was durfte morgen nicht passieren! Aber morgen - morgen konnte es gar nicht passieren. Er würde sie nicht rausschmeißen, niemals, niemals, niemals! Denn er hatte sie sich mehr gewünscht als alles, alles, wovon er träumen konnte! Und er murmelte sich in eine übermächtige Erregung hinein und konnte es nicht mehr abwarten – morgen kam:
Sein nasses Lustweib aus aller Welt!
Als Nora Eisbrenner , Marie-Louise Eisbrenner, Heribert Thalbach, Änne Metternich und die drei Verwandten von Klara Eisbrenner, die der Schreiner Brecht noch nie gesehen hatte, zur Tür hereinkamen, erschraken sie fürchterlich.
Denn Klara saß aufrecht im Sessel mit roten Wangen und sie aß wie ein Scheunendrescher.
Lieber Gott!, rief Nora pikiert. Ich dachte, es geht dir schlecht, Tante Klara!
Die Verwandtschaft fühlte sich irgendwie betrogen.
Klara hatte sich die Kartoffelklöße noch einmal aufwärmen lassen, die sie mittags nicht geschafft hatte. Siegmund Brecht hatte sie schön klein geschnitten und mit Soße bedeckt.
Das schmeckt sehr gut!, strahlte Klara. Wer seid ihr denn alle?
Änne und Heribert sahen sich an. Verlor sie den Verstand? Quitschfidel und ohne Verstand? Der schlimmstmöglich Gedanke. Wenn sie nämlich ewig und völlig plemplem im Pflegeheim lebte, ging das alles von ihrem Erbteil ab.
Nora stellte die Blumen auf den Tisch, lila Fresien, und ungewollt knallte der Topf recht unsanft auf die Platte.
Ich bin doch NORA, deine Lieblingsnichte, die dich immer besucht hat, Tante Klara.
Aah, aah so, jaja, soso … ja gut. Siegmund, was sind das für Leute?
Aber ICH bin’s doch, der Heribert! Du hast mich als Kind immer mit auf den Wäldchestag genommen!
Aah, so, aha, jaja … soo …
Von deiner Schwester Marlene der Sohn!!
Klara blickte fragend zu Siegmund.
Gehen wir jetzt auf den Wäldchestag?
Nein, Klara,
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