Die letzten Dinge - Roman
das wäre jetzt zu anstrengend. Heut ist gar kein Wäldchestag.
Der dumme Schreiner! Wieso war der schon wieder da? Konnte man nicht mal in Ruhe mit seiner Verwandtschaft da sitzen, ohne dass der Angestellte dabei saß? Und überhaupt.
Sieh mal, Tante Klara, sagte Änne. Hier habe ich dir schöne Muschelpralinen mitgebracht – mit Seepferdchen, die isst du doch so gerne!
Der Schreiner überlegte, ob sie vergiftet sein könnten.
Das ist jetzt zu viel, das Schokozeug. Dir war ja gestern gar nicht gut.
Aber die Klöße! Die schmecken mir!
Und Klara Eisbrenner tunkte ein Stück in die Soße und aß es.
Nun gut, Tante, sagte Nora Eisbrenner pikiert. Wie ich sehe, geht es dir ja ganz gut. Und ich habe mich ja gestern schon um dich gekümmert. Ich wollte auch nur den Blumentopf bringen, damit es hier ein wenig wohnlicher aussieht. Ich finde, hier auf der Kommode steht er ganz schön.
So, aha, jaa, danke schön, sagte Klara Eisbrenner. Das sind sehr nette Leute, Siegmund.
Gut, Tante Klara, ich gehe dann mal.
Und auch die drei unbekannten Verwandten erhoben sich und wenig später auch Heribert und Änne und nach genau 23 einhalb Minuten waren alle verschwunden. Nur Siegmund Brecht blieb sitzen.
So Klara, die sind wir los.
Hihihi, lachte Klara. Wer war das, Siegmund?
Leute, die kein Mensch braucht.
So, aha, soso, … ja, dann gut!
Klara, ich habe beim Gericht für dich ein Bettgitter beantragt. Damit du nicht wieder rausfällst. Weißt du, so ein Bett hast du schon mal gehabt, als Kind, mit so Stäben in der Seite, dann sieht dein Bettchen aus wie eine Wiege.
Gut, gluckste Klara. Können wir machen! Ich muß jetzt aufstehen, ich muss zum Müttergenesungswerk.
Der Schreiner rieb sich die Stirn. Klara hatte den Sturz nicht wirklich gut verkraftet. Irgendwas war da geschehen im Kopf.
Was willst du denn beim Müttergenesungswerk?
Die Knöpfe bestellen, Siegmund, die Knöpfe bestellen …
Und dieser Satz, den Klara Eisbrenner jetzt begonnen hatte, fand dann kein rechtes Ende mehr. Er ging in einen anderen Satz über und der wiederum ging in einen anderen Satz über und keine Satzhälfte hatte mit der anderen zu tun.
… und der Lehrer, der hat sich da aufgeregt, weil das die Versicherung, die habe ich aufgelöst, die Knöpfe sind, aber muss ich in in die BFA und weißt du, ich hab ja kein Geld mehr und die Armlehnen haben einen Voltenschwung, aber der Stuhl eine Füllhornversprossung, der bleibt immer sitzen, bleib ich hier, wenn der eine Rüsterwurzelholzeinlage hat, dann muss ich doch zur Krankenkasse und das muss alles geklebt sein, wenn ich an der Apotheke vorbeikomme kannst du mir Strümpfe dahinhängen, ich muss die ja noch putzen auf dem Amt und der Bank, die hat so Schlüsselrauten, das ist wahr, wenn ich den Kittel mal kann ich doch gestern schon in Dortmund gewesen bin …
Schwester Nadjeschda hatte einen Rollstuhl hingestellt. Da hinein konnte Siegmund seine Chefin setzen und die Wolldecke über sie legen. Und er fuhr sie durch die Gänge und ein wenig in den Garten und dann mit dem Fahrstuhl in die Cafeteria, während sie ihren einzigen, ewigen Satz voller Ämter und abermals Ämter, Friedhofsblumen, Müttergenesungsheimen, Bundesversorgungsanstalten und Messdiener und Knöpfen vor sich hersagte und ihn nie, nie mehr beendete, solange sie lebte.
Das Bett war gemacht . Die Kissen und Decke frisch bezogen. Der Nachttisch poliert, der Staub von der Lampe gewischt. Eine schöne Tischdecke lag auf dem Tisch, ein paar Blümchen standen darauf. Blumen, die Kurtacker vielleicht der Dame schenken konnte. Kurtacker war frisch rasiert und glänzte wie der aufgehende Tag. Nur duschen mussten sie noch. Lotta fragte sich, ob sie heute schon damit anfangen sollte. Wer weiß, ob es morgen noch gut ging? Rosalinde sah so schlecht aus. Wer konnte wissen, was morgen geschah?
Lotta entschied sich, Kurtacker heute schon mal vorzuduschen. Sie hatte noch nie einen Mann geduscht. Kurtacker war schon überanstrengt, vom Haareschneiden und vom Bartrasieren, von der ganzen Aufregung.
Kummervoll hielt er sich die Hand vor die Augen und starrte auf seine Knie. Wollte das Rollo wieder heruntergelassen haben.
Wenn Shoushou morgen kommt, muss es ein wenig heller sein, sonst kriegt sie Angst, sagte Lotta leise. Sonst denkt sie, sie ist in einer finsteren Höhle.
Hm, hm, aber wenn es heller ist, dann sieht sie mich, sie soll mich nicht sehen.
Aber Herr Kurtacker, Sie sehen doch gut aus! Wenn Sie noch ein wenig trainieren
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