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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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bezahlte! Sie lief rot an, stand ebenfalls abrupt auf, lief zum Bruder Vinzentius und packte Kohlrabi, Lauch und Möhren wieder ein.
    Aber Gianna, was machen Sie denn da?
    Nemm ich alles wieder mit. Abbe ich Sie geholfe, Padre, aber Sie wolle mir nicht elfe. Dann ich gehe wieder. Abbe ich noch eine Tante, atte die zweite Gesicht. Ich frage, sie helft. Gewiss.
    Nein! Pater Ludolfus eilte ihr nach und hielt ihre Hand fest. – Halt, warten Sie. Warten Sie. Wir können über alles reden. Wir reden über alles … ich kaufe Ihnen das Gemüse ab und Sie … mal sehen. Vielleicht kann man diese Tante ja mal kennen lernen und wir gehen zusammen … schon aus Neugier … Der Padre seufzte. Womit man alles belangt wurde. Armut, Krebs und Cholera, Harz IV und Kokain … und jetzt auch noch fliegende Gespenster im Seniorenheim Abendrot. Er sah selbst schon Gespenster. Jeden Tag.
    Mal sehen, mal sehen, wie das alles wurde, wie er mit allem fertig wurde, irgendwie musste es ja gehen. Jedenfalls brauchten sie jetzt den Kohlrabi und mit dem Kohlrabi hatte Gianna ihn in der Hand.

Komm nach Hause   , sagte Abdul. Er schälte eine Apfelsine, entfernte säuberlich die weißen Fasern, zerlegte sie und gab ihr einen Schnitzen. Rosalinde saß im Stationszimmer und seufzte.
    Ich kann nicht. Ich habe nur einen Pflegehelfer und eine Stationshilfe. Das Mittagessen noch, dann der Schreibkram, es sind noch nicht alle Leute gewaschen.
    Abdul reichte ihr einen weiteren Schnitzen.
    Du bist krank. Du gehst hier kaputt. Gehst weg von hier, sonst habe ich keine Frau mehr.
    Tränen stiegen ihr in die Augen. Die Fürsorge von Abdul tat ihr wohl und beschämte sie. Sie war es nicht gewöhnt, verwöhnt zu werden. Dachte immer, dass sie auf der Welt sei, um anderen zu helfen. Wenn sie selbst etwas Freundliches bekam, geriet sie völlig aus dem Konzept. Als sie Abdul kennen lernte, war sie achtundvierzig Jahre alt. Jeden Morgen hatte er ihr gegenübergesessen in der Straßenbahn. Sie hatten sich angesehen und nach einer Weile gegrüßt. Nach einer Weile miteinander gelacht. Dann ihre Namen getauscht und sich unterhalten. Und eines Tages war Abduls Sitz leer gewesen. Sofort war Rosalinde ausgestiegen und hatte ihn gesucht in seinem Viertel, so lange, bis sie das richtige Haus gefunden hatte mit seinem Namen. Mit hohem Fieber und Hustenkrämpfen hatte er ihr die Tür aufgemacht und ein Jahr später waren sie verheiratet.
    Rosalinde sah seine hohe Stirn, die wenigen Haare auf seinem Kopf, den er gerade mit der anderen Hand bedeckte. Seine Augen, tiefbraun, sahen sie unentwegt an. Rosalinde musste den Blick senken.
    Ja. Vielleicht hast du Recht. Hat keinen Sinn, sich dauernd so kaputtzumachen. Es ist ja nur, weil Kevin krank ist.
    Abdul gab ihr den dritten Schnitzen.
    Hier ist immer jemand krank. Nur du nicht. Wann besuchen wir meine Familie in Dortmund? Jeden Samstag arbeitest du, jeden Sonntag. Ich bin immer alleine.
    Als Koch arbeitest du ja auch am Wochenende.
    Aber wenn ich frei habe, habe ich frei. Du hast nie frei, auch wenn du frei hast.
    Ich  hätte Kevin nicht so lange einteilen dürfen. Zwanzig Tage am Stück. Nach zehn Tagen kippt der immer um. Und Ivy … den muss ich … der treibt mich noch zur … ich habe nicht mal mehr Kraft, ihm die Meinung zu sagen. Der kommt wieder ungeschoren davon.
    Die Klingel ging.
    Kommst du nach Hause, Rosalinde. Komm, wir gehen.
    Ich kann nicht, Abdul, es ist noch so viel zu schreiben.
    Schreibt Ivy.
    Ach, der vergisst ja die Hälfte. Und er hat kein Examen. Und das Mittagessen.
    Die Klingel summte penetrant in Abständen wie ein sonorer Elektrowecker durch das Zimmer.
    Aber Rosalinde. Seit wir uns kennen, ist es so. Es ist immer so! Willst du nicht bald aufhören zu arbeiten? Du bist achtundfünfzig. Wir können uns noch ein schönes Leben machen, fahren wir nach Marokko, gehen wir Apfelsinen pflücken, reisen wir um die Welt!
    Rosalinde sah Abdul an und sah, wie Recht er hatte. Sie konnte das Heim nicht retten. Sie konnte die Station nicht retten. Sie konnte nur sich selbst retten. Abdul beugte sich zu seiner Ledertasche herunter und legte mehrere Päckchen auf den Tisch.
    Was ist das?
    Rasierapparate, sagte Abdul. – Du hast gesagt, dass die alten Leute keine richtigen Rasierapparate haben und kein Geld, um neue zu kaufen. Die hier habe ich auf dem Flohmarkt gefunden.
    Ach, Abdul. Du bist ja wirklich ein Schatz.
    Jetzt liefen ihr die Tränen endgültig die Wangen herunter. Die alten Rasierapparate sind

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