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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Leute, sich Meinungen anhören zu müssen, die sie nicht hören wollten. Daisys Vater war deshalb zuerst wütend auf sie und befahl ihr, ihre große Nase aus Dingen herauszuhalten, die sie nichts angingen. Kleist wiederum ärgerte sich über den Ton, den sein Schwiegervater gegenüber Daisy anschlug, und verteidigte nun seinerseits ihre Argumente. Damit setzte er sich dem allgemeinen Vorwurf aus, dass die ganze Angelegenheit von Anfang an seine Idee gewesen sei und dass er seine Frau vorgeschoben habe, um Ideen durchzusetzen, die eigentlich seine eigenen waren. Die Strategie, sich hinter einem Strohmann zu verstecken, war bei den Klephts sehr verbreitet. Man beschuldigte ihn, faul zu sein, feige und undankbar obendrein, allesamt Qualitäten, welche die Klephts bei sich selbst normalerweise bewunderten. Bald redete niemand mehr mit ihm oder Daisy außer ihrer Schwester und ein paar ihrer Freundinnen. Kleist wurde klargemacht, dass er, sofern er nicht mehr bei den Überfällen mithelfe, Schwierigkeiten bekommen würde– man habe bereits ausgemacht, darüber abzustimmen, ob man ihn und Daisy aus der Gemeinschaft ausstoßen solle.
    Das Paar stand also vor einer schwierigen Entscheidung: Entweder mussten sie in diesem kalten Wetter und trotz Daisys fortgeschrittenem Zustand aus dem Dorf wegziehen, ohne zu wissen, wo sie Zuflucht finden könnten. Oder hierbleiben und das tun, was man von ihnen verlangte. Kleist war der Meinung, dass sie überhaupt keine Wahl hatten. Nachzugeben bereitete ihm keine Schwierigkeiten. Daisy kochte zwar vor Wut und gab das ihrem Vater auch sehr deutlich zu verstehen, aber Kleist war mehr daran gewöhnt als sie, ein Leben in feindseligem, aber stillem Gehorsam zu führen. Dennoch waren beide bedrückt, als sie schließlich nachgaben.
    Kleist beunruhigten auch die Neuigkeiten, die er über Cale erfuhr. Das hatte nur teilweise mit den störenden Schuldgefühlen zu tun, die sich dabei regten, und zwar nicht wegen Cale, sondern wegen Vague Henri. Aber sie riefen auch ein Gespenst hervor, das noch tiefer begraben gelegen hatte, so tief, dass er ihm noch nie direkt gegenübergetreten war. Kleist hatte die Vorstellung nie völlig ernst genommen, dass in Cales Talent zum Töten etwas Unmenschliches lag. Doch die wirren Gerüchte, die den Weg bis in die Quantocks gefunden hatten, so lächerlich er sie unter normalen Umständen auch gefunden haben würde, schlugen in Kleists Seele eine neue Saite an. Aus der Ferne schien die Vorstellung einen düsteren Sinn zu ergeben– dass nämlich Cale eine Art lebender Geist sein könne, der im Land umherstreife und übernatürliche Katastrophen auslöse. Kleist hatte die Gelegenheit gehabt, ganze Ozeane zwischen sich und Cale zu bringen, und hatte sie nicht genutzt. Jetzt war diese Chance vertan. Nun glitt ihm etwas über den Rücken, der Schauder von etwas Unheimlichem.
    »Wie meine Großmutter nie gesagt hat«, bemerkte Daisy, »glauben die Leute immer nur das, was sie glauben wollen.«
    »Damit«, sagte Kleist, »hast du vermutlich Recht.«

NEUNZEHNTES KAPITEL
     

    W
arum rücken sie nicht vor?« Bosco stellte die Frage nicht nur, weil er hören wollte, was Cale zu dem unerklärlichen Verhalten der Lakonier zu sagen hatte, sondern auch, um sich zu vergewissern, dass Cale wirklich begriffen hatte, wie unverständlich es tatsächlich war.
    Cale blickte nicht auf, sondern betrachtete weiterhin aufmerksam das halbe Dutzend Materazzi-Helme auf den Holzköpfen.
    »Habt Ihr vor, den Grund dafür herauszufinden?«, fragte er schließlich, immer noch ohne aufzusehen.
    »Nein, das habe ich nicht vor.«
    »Warum macht Ihr Euch dann darüber Gedanken?«
    »Du wirst immer unverschämter.«
    Dieses Mal blickte Cale Bosco an.
    »Habe ich Unrecht?«
    Bosco lächelte. »Nein, du hast nicht Unrecht.«
    Der Schmied, auf den Cale wartete, trat mit einem Materazzi-Helm in der Hand zu ihm.
    »Was haltet Ihr davon?«
    »Gute Handarbeit. Sehr guter Stahl, aber an diesem hier hat sich zu viel Rost festgefressen. Damit würde ich meinen Kopf nicht schützen wollen. Kann ich mir die anderen Helme ansehen?«
    »Sobald ich damit fertig bin. Macht mir Platz.«
    Cale holte aus und versetzte den Helmen nacheinander mit dem gebogenen Lakonier-Schwert gewaltige Schläge. »Und nun helft mir, sie von den Köpfen zu nehmen«, sagte er zu dem Schmied. Drei der Helme hatten den Schlägen gut widerstanden, einer war stark beschädigt, zwei waren völlig geborsten.
    »Bis morgen bekommen wir

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