Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
noch sehr deutlich vor Augen stehen, was ihnen blüht, sollten sie deinen Erwartungen nicht entsprechen.«
»Nicht alle Purgatoren sind geeignet. Ungefähr dreißig von ihnen sind zu verrückt oder zu dumm, um mir von Nutzen zu sein. Aber ich bin kein Henker. Ich will, dass sie in die Bastille von Marshalsea verlegt werden.«
»Wie kommst du auf den Gedanken, dass es ihnen dort besser ergehen wird?«
»Das ist unwichtig. Ich sage Euch nur, dass ich kein Henker bin.«
»Nun gut. Aber du hast kein Recht, das Mysterium Petar Brzica anzuzweifeln.«
»Mysterium? Dieser Schlächter?«
»Wie oft noch muss man dir sagen, du sollst deine Gedanken nicht anderen preisgeben?«, erwiderte Bosco müde. »Wie auch immer, jetzt hör mir genau zu. Gott hat gesprochen. Daraus folgt, dass das, was er sagt, die Wahrheit ist. Der Eine Wahre Glaube ist nicht deshalb intolerant, weil er wie ein überheblicher Schulmeister keinen Widerspruch duldet, sondern er ist intolerant, weil die Wahrheit per se intolerant sein muss, einfach nur auf Grund der Tatsache, dass sie wahr ist. Es ist keine Intoleranz, einem Lehrer zu verweigern, dass er verkünden darf, zwei und zwei ergebe fünf oder drei. Ein solcher Lehrer würde in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten daran gehindert werden. Wie viel weniger sollten wir daher bereit sein, eine Lüge zu tolerieren, die einen Mann daran hindert, für alle Ewigkeit errettet zu werden? Daher ist so klar wie zwei plus zwei, dass es um unseres Seelenheiles willen keine Toleranz gegenüber etwas geben darf, das von Gottes eigener Wahrheit abweicht. Der Papst ist die Quelle allen Glaubens auf dieser Erde, und er muss eine große Partnerschaft mit dem Henker eingehen, um die einzige Liebe zu erzwingen, die wahrhaftig existiert: das engste, härteste und völlig unbeugsame Dogma.«
»Brzica dient nichts und niemandem als seiner eigenen reinen Blutrünstigkeit.«
»Keineswegs. Und es ist auch nicht gerecht. Wie jeder andere Erlöser hätte auch er Akoluthen auf die Verteidigung des Glaubens vorbereiten können. Er hätte lernen können, über die Liebe Gottes zu predigen, die sich über die gesamte Menschheit erstreckt, so arm sie auch sein mag, so armselig ihr Wirken auch sein mag– ihre gestörte Sicht, ihre widerlichen Vorlieben, ihre Körper, die nichts als bösen Verrat bedeuten, alles in der Menschheit, das korrupt und banal ist. Stattdessen hat sich Brzica entschieden, sich der härtesten aller Aufgaben zu widmen: der Folterung und Tötung seiner Mitmenschen. Niemand setzt sich beim Essen neben ihn, niemand widmet ihm Zeit oder betet gemeinsam mit ihm. Und in dieser ganzen Verzweiflung von Furcht und Hass ist ihm nicht einmal vergönnt, die menschliche Stimme völlig normal erklingen zu hören, nein, er darf nur das Stöhnen der Gefolterten und das Keuchen der Sterbenden hören. Er tritt in den Hof des Glaubensaktes vor eine Versammlung seiner Mitbrüder, die ihn nur mit Abscheu und Furcht betrachtet. Ein Ketzer, ein Gotteslästerer… er wird vor Brzica geworfen, und er ergreift ihn, streckt ihn, bindet ihn auf das Streckbett oder Rad und hebt seine Arme. Dann herrscht nur noch das furchtbare, grausige Schweigen, die entsetzliche Stille, in der das Knacken der Knochen und die Schmerzensschreie des Gefolterten zu hören sind. Und er bindet ihn wieder los. Er legt ihn auf die Erde und zieht einen messerscharfen Haken durch seinen Körper, vom Schamknochen bis hinauf zum Hals, und reißt ihm die Eingeweide aus dem Leib, vor den stumm schreienden Blicken des Opfers, dessen Mund weit aufklafft wie ein Höllenfeuer.«
»Und da wundert Ihr Euch, dass er verachtet wird?«
»Ich wundere mich überhaupt nicht. Denn trotz allem Hass ist er etwas Großes, ist er reine Macht. Entferne die Henker aus der Welt, und im selben Augenblick wird die Ordnung dem Chaos weichen. Mitmenschlichkeit und Treue und gute Taten werden schutzlos dem bösartigen Opportunismus der Bösen und Grausamen ausgeliefert. Die Abtrünnigen und die Ketzer werden die übrige Menschheit ihres ewigen Seelenheils berauben. Und jetzt sag mir, ob er nicht ein Held und ein Heiliger ist?«
Einen Augenblick lang starrten sie einander an.
»Ich will Hooke.«
»Ich habe dir bereits erklärt, dass das nicht möglich ist.«
»Ihr müsst es möglich machen. Die Folk haben neue Waffen. Sie haben sie nicht unter einem Stein gefunden. Ich brauche Hooke.«
»Alles ist gefährdet und daher verwundbar. Den Papst in dieser Sache herauszufordern
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