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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Kumpel?«
    Wieder ließ er den Blick über den großen Haufen schweifen. Alles in allem war Memphis für Vague Henri ein einziges Freudenfest gewesen. »Wäre doch schade«, sagte er nachdenklich, »wenn man dieses Zeug hier nicht irgendwie brauchen könnte. Mein Gott, hier liegt doch ein Vermögen!«
    Die Arbeiter hatten so getan, als hörten sie nicht zu, doch jetzt konnten sie sich nicht mehr beherrschen.
    »Wie viel ist es wert, Meister?«
    »Zehntausend Dollar? Fünfzehn?«, überlegte Henri.
    »Ihr lügt!«
    Darüber mussten Cale und Vague Henri laut lachen.
    »Tut mir leid, Meister, aber das ist doch wohl unmöglich.«
    »Wie du willst. Aber schau dir doch mal den Zustand an. Außerdem ist kaum noch jemand am Leben, der dieses Zeug hier tragen könnte. Man braucht Jahre, um zu lernen, wie man sich in so einer Panzerhaut bewegen kann. Hat ihnen ohnehin nicht viel genützt. Jede Rüstung hat ihren Preis.«
    »Trotzdem«, warf Henri ein, »es wäre doch verrückt, alles einschmelzen zu lassen.«
    »Warum? Außerdem wird es in drei Stunden dunkel. Wir müssen weiter.«
    Als sie zu ihren Pferden zurückgingen, rief einer der Arbeiter hinter ihnen her: »Wohin können wir es bringen, Meister? Bitte sagt es uns, dann werden wir Euch mit unseren Gebeten danken.«
    In der großen Vorratskammer des Seligen Honoratus an den rückwärtigen Hängen der Golanhöhen ließ sich Cale zwei Rinderhälften aushändigen. Er benutzte dafür einen Berechtigungsschein, den er aus Van Owens Kommandostand geklaut hatte. Die Unterschrift des Quartiermeisters hatte Cale eigenhändig gefälscht.
    »Und was ist, wenn er herausfindet, dass du es warst?«
    »Wenn wir Glück haben, ist er tot, bevor er es entdeckt.«
    »Aber wenn er siegt oder überlebt?«, setzte Henri nach.
    »Ich glaube nicht, dass er es schafft– sie aufzuhalten, meine ich.«
    »Das haben wir auch am Silbury Hill geglaubt.«
    Wie man sich vorstellen kann, ist es nicht ganz leicht, zwei große Rinderhälften durch ein Kriegslager zu transportieren, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Im Lager herrschte ein Treiben wie in einem Bienenstock; deshalb warteten sie bis nach Einbruch der Dunkelheit und umgingen dann das Zentrum des Lagers in sehr großem Bogen, und so gelangten die Rinderhälften, zusammen mit einer großen Lieferung Kohlrüben, denn auch sicher zu den Purgatoren. Der Nahrungsnachschub wurde von den Männern mit ehrfürchtiger Dankbarkeit in Empfang genommen. Schon nach wenigen Minuten hingen die Rübentöpfe und das Fleisch über den Lagerfeuern. Aus Boscos Buch hatte Cale eine Pergamentseite herausgerissen; er schnitt einen Splitter aus den Grundpfosten, auf denen Van Owens Kommandostand ruhte, und legte ihn zusammen mit dem Stück Pergament in eine kleine Messingschatulle, die er bei einem der Gefallenen im Veldt gefunden hatte. Dem Bruder Kohlenmeister versicherte er, dass es sich hierbei um einen Splitter des Galgens handle, an dem der Gehenkte Erlöser geopfert worden war. Dafür erhielt er vierzehn Sack Kohle und einen Stapel Brennholz. Befriedigt schauten Cale und Henri den Purgatoren zu, die sich selig wie verwöhnte Kinder die Bäuche füllten und sich an den Feuern wärmten.
    »Tut einem im Herzen gut«, sagte Cale lächelnd. Aber das Problem mit Vague Henri war, dass es auch seinem Herzen guttat, obwohl sich jede Faser seines Körpers dagegen wehrte. Es tat seinem Herzen gut, diese Männer so zufrieden zu sehen, deren Glaubensbrüder ihn, Henri, sein ganzes Leben lang gequält und schikaniert hatten. Und nun, da er sah, wie pathetisch sie sich über die Wärme und die Nahrung freuten, über Wärme und Nahrung, die er, Henri, ihnen verschafft hatte, fühlte er sich widerwillig mit ihnen verbunden, und das passte ihm überhaupt nicht. »Wie können sie mir nur leidtun?«, flüsterte er Cale unglücklich zu, während sie in der großen, aber schlecht konstruierten Hütte saßen, die nun förmlich brummte vor Licht und Zufriedenheit und Freude. Cale schaute ihn an und schüttelte den Kopf.
    »Pass auf deine Tränen auf, sonst ertrinkst du noch darin.«
    Am nächsten Morgen waren beide früh auf den Beinen, um noch vor Tagesanbruch aufzubrechen. Als die ersten Lichtstreifen am Horizont sichtbar wurden, ritten sie bereits aus dem Lager hinaus, das sich wie ein großer Hund streckte, bevor der letzte Tag der Vorbereitungen anbrach.
    Die Wachposten nickten Cale zu und ließen ihn passieren. Sie waren an sein Kommen und Gehen gewohnt und bewunderten ihn für

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