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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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Wachsoldaten am Großen Tor trat er in die lichtdurchflutete Landschaft hinaus, ging unter Zedern, zwischen Mandel- und Erdbeerbäumen dahin. Zum ersten Mal war er allein hier. Er machte sich auf die Suche nach den Bienen.
    Rankstrail kannte Bienen, er hatte sie schon in den Orangen- und Mandelhainen am Rande der Reisfelder gesehen, wenn er seine Mutter begleitete.
    Er brauchte ihnen nur zu folgen, um die Waben zu finden, großartige Kostbarkeiten, die ihn durch ihre Vollkommenheit, durch die geniale Wiederholung der ständig gleichen, völlig identischen Sechseckform rührten und außerdem voller Honig waren. Er schürfte sich an Ästen auf und zerkratzte sich am Gestrüpp. Außerdem musste er auf seine Kosten die Erfahrung machen, dass Bienen stachen, was einen heftigen Schmerz und eine übel juckende Rötung zurückließ, die nicht blutete, aber gemeiner wehtat als alle Schürfwunden, die er sich je zugezogen hatte. Nach zahlreichen Versuchen entdeckte er, wie immer allein und auf eigene Faust, dass die Bienen ihn näher kommen und sich ausrauben ließen, wenn er sich mit Schlamm beschmierte und sich sehr langsam anschlich. Mit der Wabe in der Hand kam er nach Hause, knallrot von den vielen Bienenstichen auf allen unbedeckten Stellen der Haut, schmerzgeplagt, triefend von Schlamm, Schweiß und Blut. Er passierte wieder das Große Tor, das ausnahmsweise unbewacht war, er sauste, so schnell er konnte, lustig und munter wie ein Fink im Frühling, doch im ganzen Äußeren Bezirk war es merkwürdig still und eine einzelne Glocke läutete eintönig.
    Als er endlich zu Hause war und seinen Schatz vorwies, war nichts so, wie er sich das vorgestellt hatte. Die Mutter seufzte, der Vater war niedergeschlagen. Es war die Nachricht gekommen, dass in derselben Nacht auch der Sohn von Sire Erktor auf die Welt gekommen und auf den Namen Erik getauft worden war, zugleich aber war auch der Todesengel gekommen und hatte die Dame mit sich genommen: Dorthin, von wo es keine Wiederkehr gibt.
    Rankstrails Herz krampfte sich zusammen.
    Er bereute den Neid, den er dem Jungen aus der Zitadelle gegenüber empfunden hatte, der nun sein Leben lang über so viele Wurstgirlanden verfügen konnte, wie er wollte, dem aber nie das Lächeln einer Mutter Licht und Wärme spenden würde. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde ihm das außerordentliche Glück der eigenen Lage bewusst. Er hatte einen Vater und eine Mutter. Er war am Leben.
    Er sah in das tränenüberströmte Gesicht seiner Mutter und wünschte nichts mehr, als sie in ihrer Trauer, die ihn überwältigte, zu trösten, also hielt er ihr die Wabe hin.
    Die Mutter hörte auf zu weinen.
    Der Vater erschauerte. Er wurde wütend, zum ersten Mal, seit Rankstrail sich erinnern konnte.
    »Nie mehr!«, schrie er. »Nie mehr, tu das nie mehr! Schwör es! Begreifst du nicht? Die Bienen hätten dich töten können. Du hättest von einem Ast fallen können. Du hättest sterben können. Das kannst du uns nicht antun! Schau nur, wie sie dich zerstochen haben! Du kannst nicht so einfach in die Reisfelder gehen, ohne dass ich es dir sage. Weißt du, was für Sorgen wir uns gemacht haben?«
    Rankstrail sah seinen Vater an, eher fasziniert als erschrocken. Noch nie hatte er die Stimme erhoben. Es war das erste Mal, dass er ihn schreien hörte. Die Vorstellung, dass ihm verboten wurde, sich wehzutun, erschien ihm fantastisch und verblüffend.
    Aber das war noch nicht alles. Ruhiger, aber immer noch ängstlich, erklärte der Vater, das sei verboten. Wohl waren die Bienen wild und gehörten niemand, aber ihren Honig durfte man trotzdem nicht anrühren, sie, die Bewohner des Äußeren Bezirks, gehörten nicht zur Stadt: Sie waren hier nur geduldet. Sie hatten auf nichts ein Anrecht. Sie durften nichts anrühren, weder die Orangen an den Bäumen noch die Fische in den Teichen, weder die Reiher noch den Honig der wilden Bienen. Alles gehörte den Einwohnern der Stadt und das waren sie nicht.
    Man hatte sie nicht in diese Stadt gebeten, nichts konnte deren Einwohner veranlassen, irgendetwas mit ihnen zu teilen.
    »Du bist mein Kind«, fuhr sein Vater fort. »Ich will nicht, dass du etwas Gesetzwidriges tust, nie mehr. Dieser Honig, begreifst du, gehört nicht dem Erstbesten, der vorüberkommt, und auch nicht dem, der ihn sich erobert, auch wenn du Mut bewiesen hast, wenn du dir wehgetan hast, um daranzukommen. Diesen Honig zu nehmen, ist Diebstahl. Andere tun das, ich weiß. Es gibt Wilddiebe, es gibt Schmuggler,

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