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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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zu verdienen, aber mittlerweile kannten alle ihre Geschichten und sie konnten sie niemandem mehr andrehen.
    Im Grunde waren diese Geschichten dumm und Dummheit störte Rankstrail. Die von der Prinzessin war am ärgerlichsten. Frösche reden nicht, verwandeln sich nicht in Prinzen, und nur ein Idiot würde einen Frosch küssen, davon konnte man schließlich Warzen bekommen. Auch die Frage einer eventuellen Nachkommenschaft war problematisch. Der erzlangweiligste Teil der ganzen Geschichte waren die Schilderungen der Kleider der Prinzessin, mit all den Stickereien, aber auch die Unterhaltung zwischen ihr und dem Frosch mit Reimen am Ende jedes Satzes war eine Pein. Nicht einmal die Geschichte, die sein Vater erzählte, begeisterte ihn, und er hatte nie begriffen, wieso sie ihn beruhigen sollte, hatte er Gewitter und Dunkelheit doch nie als beängstigend empfunden. Jedenfalls auch hier ein vollkommener Mangel an Logik: Im Dunkeln würden Wolf und Ziege sich am Geruch erkennen. Er selbst war, sogar wenn es stockfinster war, immer in der Lage, mit absoluter Genauigkeit anzugeben, wo sich sein Vater, seine Mutter, Nerella und jedes andere Lebewesen im Raum aufhielten. Die Freude über die ausgebliebene Verwandlung der Ziege in einen Festschmaus schien ihm auf einem ungleich verteilten Mitgefühl mit den beiden Lebewesen zu beruhen, denn schließlich lebten ja nicht beide von Gras. Der Wolf bekam nichts zwischen die Zähne, und nichts zu essen zu haben, ist auch eine Form von Leiden.
    Aber auch wenn ihm die Erlebnisse der Prinzessin mehr als egal waren, so rührte ihn doch die Freude, mit der Mama die Geschichte erzählte. Gebannt hörte er zu, und wenn seine Mutter ihn fragte, ob er dieses langweilige Märchen noch einmal hören wollte, willigte er tapfer ein.
    Als sie heimkamen, saß der Vater vor dem Haus. Er bearbeitete gerade ein Stück Holz, wahrscheinlich für einen Türstock oder eine Bank, eine Arbeit, für die er vielleicht bezahlt würde, und das wären dann zwei Festtage und es würde einen Tag lang oder auch zwei Polenta mit Wurst geben. Rankstrail hatte immer den Mund gehalten, die Ohren aber seit jeher weit offen, und er hatte begriffen, dass das Gewerbe eines Holzschnitzers ohne andere Einkünfte nicht ausreichte, um eine Familie zu ernähren. Rankstrails Vater war sehr gut in seinem Handwerk. Das Dorf, aus dem sie kamen, war überall mit Schnitzarbeiten verziert; Häuser, Türen, sogar die Pfähle, an denen die Wäscheleine gespannt wurde, waren überzogen mit einer wahren Flut von Blumen, Blättern, Früchten, Einhörnern, Greifen und Götterbildern, vielfältig stilisiert bis zur Unkenntlichkeit. Es galt als ein Wunder, wenn es einem Einwohner des Äußeren Bezirks gelang, als Handwerker zu arbeiten, Rankstrails Vater schaffte das nur aufgrund seiner Geschicklichkeit, womit er Träume und Zeichen ins Holz übertrug.
    Die Händler aus dem Mittleren Bezirk zahlten pünktlich, aber ihre Aufträge waren unbedeutend: Werkzeugtruhen ohne Schnitzwerk, Ausbesserungen an den Ladentischen. Die größten Aufträge waren die für den Adel, aber dort oben seinen Lohn zu bekommen, war ein mühseliges Unterfangen. Der Hochmut einiger dieser Familien ging so weit, dass sie allen Ernstes annahmen, für einen Bewohner des Äußeren Bezirks sei es eine solche Ehre, für sie zu arbeiten, dass das an sich schon Lohn genug wäre.
    Rankstrails neugeborene Beredsamkeit wurde dem Vater mit der gebotenen Rührung mitgeteilt. Rein Brandmal verzog das Gesicht des Mannes, seine Freude und sein Lachen kamen laut und geradeheraus zum Ausbruch. Lang umarmte er Rankstrail und wiederholte immer wieder: »Mein Junge … Mein Junge … Mein geliebter Junge …«
    Rankstrail gab eine Probe seiner Fähigkeiten. In Anbetracht des Unheils, das er, ohne es zu wollen, mit seinen Worten bei der Mutter angerichtet hatte, und der Unerforschlichkeit der Wege, die Worte zu tödlichen Fallen für die Fröhlichkeit machten, beschränkte er sich darauf, mit dem Finger auf die Dinge zu zeigen und ihren Namen zu nennen.
    Der Vater setzte sich wieder, nahm ihn auf den Schoß und erzählte ihm die einzige Geschichte, die Rankstrail gefiel und die er niemals müde werden würde zu hören, wieder und wieder: die ihrer Ankunft in Varil. Die Stadt, die Reisfelder, die Reiher, die aufflogen, wenn sie vorbeikamen, all das nahm in Rankstrails Geist konkrete Gestalt an.
    Die ganze Herrlichkeit des Morgens schwang in den Worten des Vaters mit. Erst erzählte er von

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