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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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Rankstrail, wie die kleinen runden Dinger hießen, die das Licht einfingen und zurückwarfen.
    Von Schwertern war nicht mehr die Rede, aber der Vater machte seinem Sohn trotzdem ein Geschenk: Er gab ihm eine Flöte. Das war ein kostbares Geschenk von nahezu unschätzbarem Wert. Es verlangte viel Zeit und Konzentration, das Holzstück auszuhöhlen, zu vermessen und einzurichten und die Löcher exakt in der richtigen Größe und im exakt richtigen Abstand voneinander anzubringen, damit sie, wenn die Luft hindurchgeblasen wurde, den richtigen Ton erzeugten.
    Als der Vater noch etwas einnehmen konnte, wenn er die Geschichte vom Wolf und der Ziege erzählte, hatte er seine Erzählung auf der Flöte begleitet, hatte die Pausen ausgemalt, um die Spannung zu steigern und die Freude über den guten Ausgang zu erhöhen. Flötenspiel war zwar eines der wenigen Dinge, die Rankstrail noch erzlangweiliger fand als die Schilderung der bestickten Kleider der Prinzessin und als ihr Gewimmer in Versen, aber das Strahlen in den Augen des Vaters und die Kostbarkeit des Geschenks waren so groß, dass er mit echter Rührung dankte.
    In derselben Nacht wurde Fiamma geboren.
    Der Vater hatte eine Decke aufgehängt, um Rankstrails Bettchen von dem großen Lager abzuschirmen, wo Fiamma gerade auf die Welt kam. Rankstrail hörte, wie zum Schreien der Kleinen die Stimme der Mutter hinzukam und sie tröstete. Er hatte längst verstanden, warum Mama einen so dicken Bauch gehabt hatte: Dadrin war ein lebendes Wesen, dasselbe galt für die Dame, die ihm das Glas Honig geschenkt hatte. Er beneidete das Kind in der Zitadelle, das unter Wurstgirlanden und inmitten von Bratspießen voller Reiher aufwachsen würde. Rankstrail hörte, wie das Weinen sich beruhigte, und er bedauerte, sich nicht an die eigene Geburt erinnern zu können und daran, wie Mama ihn getröstet hatte, denn es wäre schön gewesen, das im Gedächtnis zu haben und sich, jedes Mal wenn er traurig oder allein war, daran erinnern zu können. Seine früheste Erinnerung war die, als er sich die Knie aufgeschlagen hatte, der Papa ihn verarztet hatte und ihm dann eine echte Weintraube geschenkt hatte, aber da musste er schon länger auf der Welt gewesen sein, denn er konnte laufen und auf die Hausdächer klettern. Auch das war eine schöne Erinnerung.
    Rankstrail hatte schon gesehen, wenn Katzen oder Iltisse Junge warfen, und er wusste genau, was da vor sich ging und wie. Neben dem Geschrei des Schwesterchens hatte er auch den unverwechselbaren, herben Geruch von Blut wahrgenommen, der damit verbunden war und plötzlich sehr stark wurde, wie wenn ein Huhn geschlachtet wird. Als er ihm das Mädchen zeigte, erzählte der Vater Rankstrail aber aus unerfindlichen Gründen trotzdem eine wirre Geschichte, wonach einer der großen schwarzen Störche mit rotem Schnabel, die manchmal über die Reisfelder flogen, sie auf ihrem Dach abgelegt haben sollte. Es war klar, dass das Mädchen, so klein es war, zu schwer gewesen wäre für einen fliegenden Storch, vor allem wenn dieser, wie der Vater behauptete, von jenseits der Wolken kam, was wahrscheinlich keine geringere Entfernung war als bis zu den Dunklen Bergen.
    Die Schwester war krebsrot, das zugleich geschwollene und zerknitterte Gesicht erinnerte an den Kopf einer Schildkröte und der Vater nannte es wunderschön, vermutlich einer ähnlichen Logik folgend wie die Geschichte vom Storch.
    Die Mutter blieb den ganzen Tag mit der Schwester im Bett, und Rankstrail begriff, dass das für die Familie ein Unglück war: Es wurde nichts gewaschen und man würde nichts einkaufen können. Er hätte die Kleine gern aus der Nähe angesehen, aber mittlerweile konnte er die Angst auf den Gesichtern der Eltern bereits gut lesen, und sie zeigte sich jedes Mal, wenn er ihr näher kam. Er begriff, dass das so war, weil er so groß und ungeschickt war, überall anstieß, sobald er sich bewegte. Er erinnerte sich wieder, dass er das wenige und kostbare Geschirr erheblich dezimiert hatte, und erinnerte sich auch, wie er Nerella, die den Orks wunderbarerweise entronnen war, einmal fast umgebracht hätte, ohne es zu wollen, weil er auf sie draufgefallen war.
    Um seinen Eltern die Angst zu nehmen und sich zu beschäftigen, ging Rankstrail aus dem Haus, durchquerte den Äußeren Bezirk mit seinem ewigen, betörenden Duft nach Essbarem, eine völlig unnütze Verlockung für diejenigen, die sich außer Luft nichts leisten konnten. Unter den gleichgültigen Blicken der

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