Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
Vom Netzwerk:
aber wir nicht, wir tun das nicht. Wir sind wir, bei uns tut man so etwas nicht. Du, ich, mein Vater und der Vater meines Vaters vor mir, wir achten das Gesetz. Wir haben nie etwas gestohlen. Nichts. Niemals. Eher verhungern wir. Ich, mein Vater und der Vater meines Vaters, niemals …«
    Und nicht nur das. Es war gut gegangen, weil durch die Trauer um die Dame alle in der Zitadelle waren und sogar das Große Tor unbewacht geblieben war …
    »… Wenn du stiehlst, können sie dich bestrafen. Sie können dich schlagen. Ich … das würde ich nicht ertragen, dass jemand meinem Rind wehtut, verstehst du? Ich will nicht, dass ein Soldat das Recht hat, dich zu schlagen oder auszupeitschen, niemals …«
     
    Rankstrail war so beschäftigt mit der Vorstellung, dass er Vater und Mutter gehörte und nicht sich selbst, dass er zunächst die Stimme der Mutter gar nicht hörte, nicht hörte, wie sie immer wieder »Nein, nein, nein« sagte. Auch das war noch nie vorgekommen.
    Die Mutter sagte, nein, dieses Ding da, die Wabe, die sei ihre Rettung. Man könnte sie verkaufen. Sie hatten nicht mehr viel im Haus. Die Truhe, die der Vater mit Schnitzwerk verziert hatte, war nicht bezahlt worden, die Fenster, die er repariert hatte, auch nicht, da brauchte man sich keine Hoffnungen zu machen. Sie konnte nicht waschen, nicht gleich, nicht solange das Kind so klein war. Mit dem, was sie im Haus hatten, schafften sie es noch ein paar Tage lang mit Brot und Zwiebeln; ohne Essen würde ihr die Milch wegbleiben und die Kleine müsste verhungern. Den Honig konnte man verkaufen, die Wabe auch, das war Wachs. Unschätzbare Güter. Sie bedeuteten das Leben für die Kleine. Ihre Kleine würde nicht sterben wie viele Kinder der Armen. Ihre Kleine würde leben um jeden Preis, jeden! Es war ein Segen, dass Rankstrail … imstande war, Honig zu beschaffen.
    Stumm sah der Vater sie an, mit einem Gesicht, als ob man ihn geschlagen hätte. Er stammelte etwas, von wegen, er war ein … er war kein … er wollte nicht … er …
    Rankstrail hört schweigend zu und war verwirrt. Schweigen war seine besondere Spezialität, Verwirrung hatte er bisher nicht gekannt. Sonst waren die Dinge klar gewesen, sie waren entweder eindeutig richtig oder eindeutig falsch und Gut und Böse waren durch eine klare Trennlinie geschieden. Wasser holen gehen war gut und man wurde gelobt dafür. Sich prügeln war schlecht, auch wenn man es tat, um Mama zu verteidigen – ungerecht, aber klar. Wenn man sich nicht prügelte, wurde man gelobt. Jetzt hatte er mit etwas zu tun, was falsch war, aber vielleicht weniger falsch als etwas anderes, nämlich der Hunger des Schwesterchens. Eine schwierige Angelegenheit. Wenn er weiterhin Honig stahl, würde ihn niemand dafür hochleben lassen, das war klar, wenn er aber aufhörte, es zu tun, würde das Schwesterchen leiden. Alles war falsch. Etwas eindeutig Richtiges gab es hier einfach nicht.
     
    Die Mutter machte aus dem Stoffsack, in dem sie ihn als Neugeborenes getragen hatte, einen Quersack, nach wie vor mit dem geflochtenen Lederband zum Zuschnüren, um die Wabe darin zu verstecken, und sah Rankstrail an.
    »Warum er?«, rief der Vater. »Er ist ein Kind. Die Erwachsenen sind wir.«
    »Eben. Wir sind erwachsen. Du bist erwachsen. Wenn sie dich erwischen, bedeutet das die Ausweisung, und ohne ein Dach über dem Kopf stirbt Fiamma.«
    »Er ist ein Kind. Er kann kaum sprechen …«
    »Er wird sich mit Gesten verständlich machen … Außerdem, ich … ich mag nicht … ich kann nicht reden … mit anderen … und du … wenn es um Geld geht … dann bist du … er wird es nicht schlechter machen als wir beide und für ihn ist es weniger gefährlich.«
    Schweigen. Der Vater schlug die Augen nieder.
    Die Mama erklärte Rankstrail, wohin er gehen sollte. Am südlichen Teil der Stadtmauer gab es Verkaufsstände, wo Marzipan feilgeboten wurde und, was noch wichtiger war, kleine, flache Süßigkeiten, bernsteinfarbene Plättchen aus in Honig karamellisiertem Sesam. Er sollte seine Wabe vorzeigen und abwarten, was ihm geboten wurde, so tun, als denke er nach, und nach einem Augenblick annehmen. Was auch immer geboten wurde. Sie konnten nicht handeln. Sie konnten es nicht und wussten nicht, zu welchem Preis gestohlener Honig üblicherweise verkauft wurde; der genaue Ausdruck dafür war Diebstahl und Schwarzhandel. Außerdem war er ein Kind. Jedes Angebot war in Ordnung.
    Hatte er verstanden?
    Rankstrail bejahte. Er hatte verstanden.
    Er fand

Weitere Kostenlose Bücher