Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
mit ihren Säulen aus tropfendem Wasser und Stein, und sie erinnerte sich, dass die Bewohner der alten Hafenstadt in diesen Grotten alle Waren und Schätze gehortet hatten, die sie übers Meer mitnehmen wollten, sobald die Piraten ihnen einen Augenblick Frieden gönnen würden.
»Waren?«, fragte Yorsh.
»Waren!«, bestätigte die Phönixhenne.
Stoffe für Kleider und Segel, Netze, Angelschnüre, Köder, Pfähle, Hacken, Pflüge, Heu- und Mistgabeln, Äxte, Nadeln, Messer, kleine Klingen, Waffen, Schmuck, Pergament, Garn und Zwirn, Kerzenwachs, Schüsseln, Becher, Hämmer, Ambosse, Krüge, Leder für Schuhe, Zaumzeug, Sättel, Bögen, Schwerter, Pfeile, Helme, Rüstungen …
Alles, was man in einem Dorf brauchen konnte. Alles, was man zum Leben brauchte und was weder Erde noch Meer hergaben …
Yorsh, Caren Aschiol, Solario und die besten Schwimmer unter den Männern bauten eine Reihe von Flößen und unternahmen zahllose Fahrten hin und her. Eine war anstrengender als die andere, aber auch eine glücklicher als die andere, mit einer großen Fracht von Gaben, die aus einer anderen Zeit stammten, in gewissem Sinn direkt vom Himmel und von den Göttern kamen.
Nicht alles war in gutem Zustand. Alles war nützlich. Alles war zu gebrauchen.
Binnen weniger Tage hatten alle Kleidung, und einer nach dem anderen bekam Schuhe, die aber am Anfang, nach dem langen Barfußlaufen, unerträglich waren. Jastrin bekam jede Menge Pergamentrollen und endlich konnte das Gedächtnis der Welt aufgezeichnet werden. Robi bekam eine silberne Haarspange, die sie aber an Rimara weiterschenkte, weil Yorsh ihr gestand, dass er viel lieber Muscheln und Blumen in ihrem Haar sah.
Im dritten Mond sprang das Ei. Es war zu Mittag an einem der ersten Frühlingstage, die Sonne stand hoch am Himmel. Die Phönixhenne lag ausgestreckt am Meer, ihren Kopf in Erbrows Schoß, die nichts davon hören wollte, dort wegzugehen. Yorsh war bei ihr. Das Mädchen lehnte sich mit dem Rücken an seine Seite, sodass er sie würde trösten können, sobald die Phönixhenne starb.
Das Küken, das aus dem Ei kroch, war ein kleiner Vogeljunge, triefnass, nackt und federlos wie jedes Küken, aber auch so war unzweifelhaft, dass er ein Adler werden würde. Er und seine Mutter sahen sich in die Augen, dann starb die Phönixhenne. Die großen Seeadler segelten in langsamem Flug heran und stellten sich rings um sie in einem zum Meer hin offenen Halbkreis auf, sodass sie den Horizont sehen konnte. Erbrow weinte nicht, blieb ruhig mit dem Küken im Arm im Kreis der Seeadler stehen. Robi ließ ihre Tochter keinen Moment aus den Augen, schließlich stand sie da zwischen einer Ansammlung spitzer Schnäbel und scharfer Krallen. Robi unternahm aber nichts, was sie sichtlich Überwindung kostete.
Die Dorfbewohner, die die Sache von ferne verfolgt hatten, kamen näher. Viele waren gerührt. Einige weinten.
Es wurde beschlossen, die Phönixhenne zu verbrennen, und alle begannen, für den Scheiterhaufen Holz zu sammeln.
Da trat Moron heran und bestand auf einer kulinarischen Lösung des Bestattungsproblems.
Noch bevor er den Mund aufmachen und fragen konnte, warum man das Huhn denn nicht aß, statt es zu verbrennen, schlug Erbrow die Hände vors Gesicht, und das Küken, das sie im Arm hatte, fuhr mit der ganzen Bosheit, die ihm seine Größe von einer halben Spanne gestattete, auf den Mann los.
Den Bruchteil einer Sekunde sah Moron das Mädchen an und Yorsh erkannte den Hass. Endlich wurde ihm klar, warum das Mädchen vor dem Blick des Mannes Angst hatte. Unzählige Male war es vorgekommen, dass Erbrow sich urplötzlich auf den Arm heben ließ, und jedes Mal hatte er ihre Angst gespürt. Er hatte an böse Träume gedacht, Fantasien, dunkle Schatten, Märchenungeheuer, wie sie in den Zeilen der Abzählreime nisten.
Erst jetzt bemerkte er, dass die Angst des Mädchens immer dann auftrat, wenn Moron in der Nähe war.
Er begriff auch, dass das Küken im menschlichen Geist lesen konnte. Im Gegensatz zu ihm, der nicht imstande gewesen war, seine Tochter zu schützen, hatte der kleine Adler, eben aus dem Ei geschlüpft, noch triefnass und nackt, die Angst seiner Tochter und Morons Hass erfasst. Er, Yorsh, hatte das nie begriffen.
Yorsh stand auf und trat Moron entgegen.
»Halt dich von meiner Tochter fern, oder ich vernichte dich«, sagte er zu ihm. Er erhob seine Stimme nicht. Niemand außer ihnen beiden konnte sie hören.
Mit einem schiefen Lächeln sah Moron ihn an.
»Ich
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