Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
Geschichten gibt es, und sie wollen erzählt werden.
Wir bitten Euch um Verzeihung für das Böse, was die Welt Euch angetan hat, und wir gewähren Euch die unsere für alles Böse, was Ihr der Welt angetan habt. Eure Zeit ist abgelaufen. Geht jetzt!«
Robi stand da, hinter Yorsh, die Schleuder in der Hand und Erbrow an ihre Beine geklammert. Die Kleine wollte hochgehoben werden, aber vielleicht begriff sie die Gefahr nicht, denn sie schien nicht erschrocken; ja, als sie auf Höhe des Gesichts der Mutter war, begann sie, sie zu streicheln, wie um sie zu beruhigen.
Die Erinnyen rührten sich nicht. Die große, diejenige, die am Boden gelegen hatte, schwebte auf halber Höhe über ihnen, die beiden kleineren hoch droben am Himmel.
Ihr Schatten begann zu verblassen, wurde immer schwächer.
Auch die anderen – Creschio, Jastrin, Cala, der junge Schreiner – erholten sich langsam. Überall war Husten zu hören, Räuspern und raue, heisere Versuche, die Stimme zu gebrauchen.
Die Möwen flogen wieder. Schrill erklangen ihre Schreie an Himmel und mischten sich unter die längeren und tieferen der Seeadler.
Erbrow fing an zu lachen, die anderen Kinder fielen ein, es war ein langes, befreiendes Lachen.
Die Schatten verblassten immer mehr, waren nun fast unsichtbar.
»Sind sie weg?«, fragte jemand. »Sind sie weggegangen?«
Der Himmel war wieder blau, makellos, ohne einen Schattenfleck. Große weiße Wolken zogen darüber hin, vorangetrieben vom Nordwind.
»Sie sind weg«, bestätigte Yorsh. »Und sie kommen nie mehr wieder. Aber wir werden ihr Andenken in Ehren halten und dafür sorgen, dass die Erinnerung an sie nie aus der Welt verschwindet. Wir werden immer voller Schmerz und Respekt an all die Frauen denken, deren einziges Vergehen es war, den Wöchnerinnen beizustehen und Heilkräuter zu sammeln, und die deshalb Hexen genannt wurden.«
Er wandte sich um und sah Robi an.
»Meine Liebe«, sagt er leise.
Robi ließ die Schleuder sinken. Eine ungeheure Müdigkeit überkam sie. Sie würde gleich umfallen. Sie musste schnell machen.
»Mein Name …«, begann sie.
Sie konnte nicht ausreden. Wieder war es die Phönixhenne, die sie unterbrach, aber mit einem anderen Schrei. Es war nichts Gellendes darin, kein Groll. Nur Schmerz. Aber ein gefasster Schmerz.
Robi fiel in Ohnmacht.
Es dauerte lang, bis sie wieder zu sich kam. Es war bereits Nacht. Der Wind hatte sich gelegt und ein feiner Nieselregen wusch die Welt rein.
Man hatte Robi in ihrem Haus hingelegt. Yorsh war über sie gebeugt. Erbrows leises Stimmchen war das Erste, was zu ihr drang.
»Mama?«
Robi beruhigte sie mit einem Lächeln. Etwas weiter weg stand die Phönixhenne und sah sie besorgt an.
»Robi, meine Liebe, geht’s dir gut? Geht es Euch gut, meine Herrin?«, fragte Yorsh.
»Geht es Euch gut, meine Herrin?«, wiederholte die Phönixhenne.
Meine Herrin? Noch nie hatte die Phönixhenne sie »meine Herrin« genannt.
Verdutzt sah Robi sie an. Da waren weder Zeichen von Groll noch von Hohn.
»Danke, es geht mir gut. Jetzt geht es mir gut«, beruhigte sie die anderen. »Warum hat sie geschrien?«, fragte sie Yorsh, auf die Phönixhenne deutend.
Ihre Sympathie für dieses Wesen hatte jenes Minimum unterschritten, das ihr erlaubt hätte, das Wort direkt an sie zu richten. Aber die Phönixhenne antwortete selbst.
»Ich habe ein Ei gelegt«, sagte sie in einem Ton, der zugleich schüchtern und ernst war. »Wisst Ihr, Madame, ich werde Nachkommen haben. Ich werde sterben.«
»Ihr … was?«, fragte Robi.
»Wenn das Ei gelegt ist, können wir nicht länger unsere ewige Jugend bewahren, indem wir ab und zu verbrennen. Ich werde sterben. Ich habe beschlossen zu sterben. Auch für mein Geschlecht ist die Unsterblichkeit eine Möglichkeit. Seht Ihr, Madame, wir waren ein herrliches Geschlecht, stark und stolz. Wie die Drachen, mit denen wir uns über lange Zeit die Schöpfung teilten, sterben wir, wenn wir Mutter werden. Von dem Augenblick an, da wir das Ei legen, sind unsere Tage gezählt. Mein Name – jetzt entsinne ich mich wieder – ist Angkeel, ›Bote‹. Meine Schwestern und ich, wir trugen die Botschaft der Götter zu den Menschen, und zum Lohn dafür war uns vergönnt, Alter und Tod von uns fernzuhalten. Das war eine furchtbare Gabe. Nie war der richtige Zeitpunkt. Die blau-goldene Flamme machte die Zeit zunichte und alles fing wieder von vorne an. Zu spät, ach, leider zu spät, bemerkten wir, dass wir nach jeder Wiedergeburt
Weitere Kostenlose Bücher