Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
schimmerndem Haar, und einen Augenblick lang dachte sie, ihr Papa sei endlich gekommen, um sie zu holen, aber da war kein Drache.
Es war nicht er, sondern eine junge Frau, die gekleidet war wie ein Mann, mit einem Bogen über der Schulter und einem komplizierten, mit Perlen besetzten Silbernetz, das ihr Haar zusammenhielt. Die Frau hatte ein Knie auf den Boden gebeugt, sodass sie ihr direkt in die Augen schauen konnte.
»Kann ich Euch mit irgendetwas behilflich sein, meine kleine Herrin?«, fragte sie.
Erbrow war verblüfft. Das war eine schwierige Frage. Während sie noch über eine mögliche Antwort nachgrübelte, sprach die Unbekannte weiter.
»Mein Name ist Aurora«, stellte sie sich mit einer Verbeugung vor.
Das Mädchen nickte. Rasch schob sie ihre Verzweiflung beiseite und versuchte weiter herauszufinden, was sie tun müsse. Sie fragte sich, ob sie sich ebenfalls vorstellen müsse. Sie war sehr eingeschüchtert, sie wollte aber nicht unhöflich erscheinen. Papa legte großen Wert auf Höflichkeit. Sie zeigte auf sich selbst.
»Ebou«, brachte sie schließlich leise heraus.
»Das ist ein wunderschöner Name, meine kleine Herrin, es ist wahrhaft eine Ehre, Eure Bekanntschaft zu machen«, bemerkte Aurora.
Erbrow nickte.
»D’ache«, fühlte sie sich verpflichtet zu erläutern, wobei sie noch einmal auf sich selbst zeigte.
»Das ist der Name des Drachen. Ich habe verstanden. Ihr tragt den Namen des letzten Drachen, den Euer Vater in seinen jungen Jahren im Flug begleitete.«
Erbrow nickte, dann betrachtete sie Aurora lang im unsteten Licht der Fackeln.
»’ezz«, flüsterte sie.
»Jetzt? Jetzt … Ihr wollt mir sagen, dass Euer Vater und der Drache jetzt wieder beisammen sind und gemeinsam fliegen?«
Erbrow nickte. Endlich hatte sie jemanden gefunden, der sie verstand.
»Erlaubt Ihr, dass ich Euch in die Arme schließe?«, fragte Aurora überraschenderweise. Erbrow nickte und fühlte sich eingehüllt von dem nachgiebigen, warmen Körper, eingehüllt von Stoffen, die weich waren auf der Haut. Sie legte den Kopf in Auroras Halsbeuge, die nach Luft und Wind roch, was sie vage an ihren Vater erinnerte. Lang streichelte Aurora ihr das Haar. Das war nicht dasselbe, wie weinen zu können, aber wenigstens war da jemand, der sie in die Arme nahm, während sie von ihrem Papa erzählte, und das war immerhin etwas. Der kalte und steinerne Klumpen, den sie in sich trug, seitdem sie ihren Papa hatte sterben sehen, begann, sich etwas zu lösen. Wenn sie in den Armen von jemandem hätte weinen können, der mit ihr weinte, während sie von ihrem Papa erzählte, würde sich dieser Klumpen noch weiter auflösen, und die Erinnerung an die grünen Drachenflügel würde stärker werden als die an das Dunkelrot des Blutes, aber Mama hatte gesagt, dass man nicht weinen darf, und Erbrow wagte es nicht.
»Eure Puppe ist sehr schön«, sagte Aurora, »es muss schön sein, eine solche Puppe zu haben, da fühlt man sich nie allein.«
Ein Anflug von Lächeln huschte über Erbrows Gesicht. Es gefiel ihr, dass Aurora mit ihr genauso sprach, wie sie es den Großen gegenüber gehört hatte, obwohl sie doch noch klein war.
»Sollte ich je ein Töchterchen haben«, versetzte Aurora, »dann wird sie hoffentlich eine genauso schöne Puppe haben wie Eure, dann ist sie nie allein.«
Diesmal strahlte Erbrow übers ganze Gesicht, während sie ihre Finger stolz über die geschnitzte Holzpuppe gleiten ließ.
»Habt Ihr Euch verlaufen? Dieser Palast ist sehr groß und man kann sich leicht verirren. Wenn Ihr erlaubt, begleite ich Euch zurück. Darf ich Euch auf den Arm nehmen? Ich weiß, wo Eure Mutter schläft«, fügte sie hinzu.
Erbrow nickte. Sie war müde. Es war schön, von Aurora auf den Arm genommen zu werden. Alles an ihr und ihrer Umarmung war sanft und warm. Erbrow legte den Kopf auf ihre Schulter und dachte, wenn sie jetzt, in diesem Augenblick, über den Tod ihres Vater weinen könnte, würde sich der kalte Klumpen in ihrem Inneren völlig lösen. Sie wünschte von ganzem Herzen, es tun zu können, aber sie war nicht sicher, ob Mama es erlauben würde, und so hielt sie sich zurück. Als sie in einen merkwürdigen Raum gelangten, wo ein sehr großer goldener Sessel stand, setzte Aurora sie ab.
»Geradeaus in dieser Richtung, da ist Eure Mutter. Bleibt bei ihr, sie braucht Euch jetzt sehr. Denkt dran, Ihr müsst jetzt recht tapfer sein. Ihr müsst bei ihr sein. Die Stadt wird von den Orks belagert, aber Eure Mutter hat einen
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