Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
Kinder in einem der Massaker verloren hat, der ist nicht bereit, ihren Schlächtern Essen und sauberes Wasser zu reichen; auch dieses Ansinnen wurde den Elfenkönigen als Entgegenkommen gegenüber dem Feind ausgelegt.«
Die Königin schwieg einen Augenblick, dann wandte sie sich wieder an Aurora.
»Ich habe Euch unterbrochen«, sagte sie.
Aurora nahm den Faden ihrer Erzählung wieder auf.
»Arduins Sohn war König geworden, aber er konnte keine Frau finden. Er starb ohne Nachkommen. Er war Sohn eines Orks. Niemand will Orkblut in der Familie. Der alte, siegreiche König hatte gewollt, dass seine Töchter sich unerkannt unters Volk mischten, lebten wie sie, um nicht zur Einsamkeit verdammt zu bleiben. Prinzessin Jade war kurz nach der Geburt ihrer jüngsten Tochter gestorben, getötet vom letzten Pfeil, des letzten Bogenschützen der letzten fliehenden Orkeinheit. Arduins Zorn war fürchterlich. Der König, der wohl Gerechtigkeit, aber kein Erbarmen kannte, vernichtete restlos alle Orks in der Menschenwelt, befestigte die Grenzen und machte sie unüberwindlich. Er sollte der einzige Ork sein, der seinen Fuß auf die Erde der Menschen setzte, der letzte. Nach Jades Tod und nach seinem Sieg blieb Arduin allein und verzweifelt zurück. Er dankte ab und verbrachte seine Tage in Bibliotheken. Jemand hatte ihm Lesen und Schreiben beigebracht, die alten Sprachen und das Elfische. Sein Sohn wurde einstimmig zum König gewählt und erhielt den Beinamen ›der Weise‹, doch zu Arduins größtem Schmerz wurde er in jungen Jahren von einem merkwürdigen Fieber dahingerafft, das keiner erklären konnte und das vielleicht Gift war …«
»Dann wäre ich also Nachfahrin einer der Töchter Arduins?«, unterbrach Rosalba sie. »Ich habe gesiegt, weil das Blut eines Orks in meinen Adern fließt, oder gar das von diesem Weiß-der-Kuckuck des Grausamen?«
Es herrschte Schweigen. Aurora schien nach den rechten Worten zu suchen, sich zu sammeln.
»Herrin«, sagte sie schließlich, »zweifellos tragt Ihr das Blut von Arduin dem Gerechten und von Jade in Euch, aber Ihr habt gesiegt, weil Ihr Ihr seid. Das Blut Arduins fließt in Euren Adern, gewiss, aber nicht nur in Euren. Weder Eure Eltern noch Vorfahren waren Einzelkinder, und bestimmt habt Ihr eine Unmenge an Vettern und Basen unterschiedlichen Grades, die sich die Herkunft mit Euch teilen. Keiner von ihnen hat uns zum Sieg geführt, das wart Ihr. Ihr habt Kampftaktik gelernt, wenn Ihr als Kind mit Eurem Vater auf die Jagd gingt, Eure Mutter hat Euch Vertrauen gelehrt, Euer Gemahl hat Euch die Fähigkeit gegeben, die Seelen zu begeistern, Eure Kinder und die Notwendigkeit, sie zu schützen, haben Euch den erforderlichen Mut und die nötige Grausamkeit eingeflößt, vor nichts haltzumachen.«
Aurora wandte ihre grünen Augen von denen Rosalbas ab und ihr Blick verweilte kurz auf dem undurchdringlichen Gesicht von Hauptmann Rankstrail. Dann ließ sie den Blick in die Ferne zum Horizont schweifen, wo sich die Gipfel der Dunklen Berge abzeichneten.
»Wir sind nicht das Blut, das wir in uns haben«, fuhr Aurora fort. »Das war früher einmal. Die Heiligen kamen als Kinder von Heiligen auf die Welt, die Ausgestoßenen als Kinder von Ausgestoßenen. Vom König bis zum Verräter, über Heroen und Dämonen, alle kamen auf die Welt und ihr Schicksal war vorgezeichnet in Lettern aus Schlamm oder Gold, sie brauchten diesen nur zu folgen. War die Ehre einmal verloren, blieb sie das für immer. Die Schande wurde zu einer Verdammnis, die noch weit über den Tod hinaus fortwirkte und die ganze Sippe ereilte. Ehrlosigkeit war wie ein Feuerkreis, aus dem es kein Entrinnen gab. Gut und Böse waren durch eine Grenze geschieden. Es galt als Ehre, Orks und von der Unterwelt ausgespiene Dämonen zu bekämpfen, deren Bösartigkeit jeden Begriff himmelhoch überstieg. Diese Welt ist nicht mehr, wie die Elfen nicht mehr sind, wie Drachen und Erinnyen. Wir sind wir. Wir sind die Entscheidungen, die wir treffen, nicht das Blut, das wir in uns haben. Wir alle müssen lernen, wieder aufzustehen, wenn wir gefallen sind, denn die Helden, die niemals stürzten, sind einer nach dem anderen ins Reich des Todes eingegangen, und übrig sind nur wir. Nach jedem Sonnenuntergang ziehen wir Bilanz, prüfen, ob Mut oder Feigheit, Ehre oder Ehrlosigkeit überwogen haben, und so erkennen wir, ob es ein guter Tag war. Ihr, Herrin, wisst nicht, wie schauerlich es ist, sich für das Blut schämen zu müssen, das in den
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