Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
Rankstrail an, voll einer düsteren Traurigkeit, einer schlimmeren Verzweiflung, als wenn sie geweint hätte. Sie erblickte das Mädchen.
»Nein«, sagte sie, »nicht hier. Ich will nicht, dass sie das sieht. Ich hatte sie fortbringen lassen. Bringt Erbrow weg von hier.«
Zum ersten Mal empfand Rankstrail Zärtlichkeit für sie. Seine Achtung vor ihr war so groß, dass sie nicht einmal in den Augenblicken geringer wurde, wenn er sie aus ganzer Seele verabscheute. Ihre Autorität stand für ihn außer Frage. Um ihre Befehle auszuführen und sie zu beschützen, war er bereit zu sterben. Zärtlichkeit hatte er jedoch noch nie für sie empfunden.
»Meine Herrin!«, widersprach er ihr sanft und legte das Kind in ihre Arme. Erbrow umklammerte ihren Hals. »Verzeiht mir. Eure Tochter möchte bei Euch sein. Sie will diesen Augenblick mit Euch durchleben. Schickt sie nicht weg.«
Die Königin sah den Hauptmann einen Augenblick lang an, dann drückte sie ihr Kind fest an sich.
Schließlich brach sie in Tränen aus.
Erbrow hing an ihrem Hals und weinte mit ihr.
»Jastrin hat die Glocke geläutet und die Orks haben es ihn büßen lassen. Bis zur Glocke hat er es geschafft, aber dann konnte er nicht mehr. Seine Beine waren nicht so … flink wie die der anderen. Ich hätte mich seiner annehmen sollen, als ob er eines meiner Kinder wäre«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte.
»Das habt Ihr getan, Herrin«, antwortete Rankstrail. »Ihr habt ihn ernährt, habt für ihn gekämpft, Ihr habt ihn getröstet in seiner Verzweiflung, Ihr habt ihm Mut eingeflößt. Das ist es, was man für Kinder tun kann.«
»Ich hätte ihn vor dem Tod bewahren müssen.«
»Nein, meine Herrin. Es steht nicht in Eurer Macht, jemanden vor seinen Entscheidungen zu bewahren. Niemanden, nicht einmal Eure Kinder. Jastrin hat sich entschieden zu kämpfen und im Kampf ist er gestorben. Hätte er nicht rechtzeitig die Glocke geläutet, so hätten wir Eure Tochter und wahrscheinlich auch Euch verloren. Wir hätten gegen die Belagerer verloren. Wir hätten die Stadt verloren. Es wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis der Verlust Eurer Tochter auch Euch zerstört hätte. Jastrin hat seine Entscheidung getroffen. Das war sein gutes Recht. Und nun, Herrin, ordnet an, was Ihr anordnen würdet, wäre es Euer leibliches Kind gewesen, das die Orks getötet haben. Lasst die Krypta der Königsgräber öffnen und Jastrin darin bestatten, mit allen Ehren, wie sie einem Prinzen königlichen Geblüts, dem Sohn eines Herrschers von Daligar zustehen.«
Die Herrscherin sah ihn lang an, dann nickte sie.
»Gewiss«, sagte sie. »Das wird ein Symbol für alle Waisenkinder. Wer nicht weiß, wer ihn auf die Welt gebracht hat, träumt davon, einer Königsfamilie zu entstammen. Jedes verlassene Kind hegt den Traum, oder besser den Verdacht, ein Königskind zu sein oder Kind eines Gottes, der aus seiner Welt zu uns herabgestiegen ist. Ich werde es so machen.«
Rankstrail blieb wie angewurzelt vor ihr stehen und machte keine Anstalten zu gehen.
»Gibt es noch etwas, was Ihr mit mir besprechen wollt?«, fragte die Königin.
»Ja, Herrin. Arkry, Rossolo, Zeelail, Rouil, Roxtoil, Daverkail und Workail sind während der Befreiung Eurer Tochter getötet worden. Drei von ihnen warten darauf, ins Massengrab gebracht zu werden, weil keine der Familien von Daligar sie auf ihrem Totenacker aufnehmen will. Vielleicht erinnert Ihr Euch an sie, Arkry gehörte dem Volk der Zwerge an, die man auch Gnome nennt, er war der Älteste von allen, der Einzige, der noch aus eigener Anschauung wusste, wie es war, als das Volk der Zwerge noch Würde und Ansehen genoss, weshalb wir ihn als einen König betrachten können. Die anderen beiden, Daverkail und Workail, waren riesige Kerle, schrecklich von Narben entstellt und von besonders wenig vertraueneinflößendem Aussehen. Beiden fehlten Finger und Zähne, sie hatten sie dem Henker lassen müssen; im Söldnerheer ist das die Strafe, die auf Diebstahl steht. Sie kamen von den Grenzen der Bekannten Welt und kannten den Namen ihres Erzeugers nicht; Kinder ohne Vater sind aber, wie mir Euer Gemahl damals in der Ebene von Varil erklärte, Kinder des Lebens selbst oder der Götter.«
»Da sie ihren Vater nicht kennen, können sie nicht ausschließen, dass er königlichen Geblüts war«, schloss die Herrscherin mit einem leisen Lächeln, das sich langsam auf ihrem Gesicht ausgebreitet hatte, ohne dass die Traurigkeit aus ihren Augen gewichen wäre,
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