Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
Freude darüber, dass sie ihn verfolgt hatten, keuchend und verzweifelt, blieb davon unberührt. Er ließ sich alles eins ums andere Mal und immer wieder von vorn erzählen.
Dann erzählte er von sich, dichtete hier etwas dazu, ließ dort etwas weg, beschönigte etwas und erzählte einiges, wie es wirklich gewesen war. Borstril sah ihn mit aufgerissenen Augen an, die zu leuchten anfingen, wenn er die Ebene, die Wälder und die Wasserfälle schilderte. Rankstrail war stolz auf diesen Blick. Borstril gefiel ihm, ein ernsthafter, etwas schüchterner Junge, der ganz und gar dem Vater glich, dieselbe schmächtige Statur, dieselben hellen Haare. Sie blieben sitzen und erzählten sich bis tief in die Nacht, bis das Feuer in der Herdstatt erlosch.
Rankstrail teilte das Bett mit Borstril. Fast wagte er nicht zu schlafen, aus Angst, ihn zu stoßen, und aus Freude daran, ihn dicht neben sich atmen zu hören. Die ganze Nacht hindurch wiederholte er sich im Kopf die Worte Bruder, Schwester, Vater wie eine zärtliche Melodie voller Freude.
Endlich übermannte ihn der Schlaf, und wieder lief in seinem Geist der schmerzliche und undeutliche Traum mit den Wolfsrachen ab, von dem ihm am Morgen nur eine unbestimmte Erinnerung zurückblieb.
Kapitel 10
Der Morgen brach an und war erfüllt von Stimmen, Gerüchen und Geräuschen. Rankstrail erkannte das Gackern der Hühner wieder, dazu den leichten Duft von gerösteten Kichererbsen, vermischt mit dem Singsang der Bettler.
Der junge Hauptmann fühlte, wie Frieden in sein Herz einkehrte.
Sein Vater war schon wach und dabei, etwas Reissuppe aufzuwärmen. Sie aßen sie gemeinsam, auf der Schwelle des Hauses sitzend. Borstril und Fiamma schliefen noch. Der Vater sprach von Mann zu Mann mit ihm. Die Dinge liefen gut, er hatte angefangen, geschnitzte Truhen an die Handwerker des Mittleren Bezirks zu verkaufen, in der Regel zahlten die, und auch pünktlich. Wenn die Dinge sich weiterhin zum Besseren entwickelten, würde Fiamma aufhören können, als Wäscherin zu arbeiten. Das war eine furchtbare Arbeit, man machte sich die Hände kaputt dabei und die Mädchen verlernten das Lachen, konnten nicht mehr hoch erhobenen Hauptes über die Straße gehen, weil sie zu sehr daran gewöhnt waren, sich über den Waschtrog zu beugen.
Ganz in der Nähe spielten Kinder mit den Hühnern und an den Ständen der Obstverkäufer tauchten die ersten Kunden auf.
Der Vater erzählte weiter. Der Verrückte Schreiber war im Jahr zuvor gestorben. Als Rankstrail nicht mehr da war, hatte der Vater ihn durchgefüttert und Fiamma ihn beschützt. Dafür hatte das Männlein Fiamma und Borstril Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht. Jetzt war er auf dem kleinen Friedhof beerdigt. Sie wussten nach wie vor nicht, wie er hieß.
Plötzlich war es aus mit dem Frieden. Die Stimmen und Geräusche verstummten.
Auf der Straße war eine Person aufgetaucht, die Rankstrail unbekannt war, für die Leute in der Gasse aber in irgendeiner Weise Furcht einflößend sein musste. Es war ein dürrer Mann mit Hakennase. Obwohl er nicht klein war, hatte er kurze Beine und einen dicken Hintern, ein seltsamer Kontrast zu den schmalen Schultern und dem hageren Gesicht. Insgesamt wirkte er wie ein riesiger Geier. In einige der Häuschen trat der Mann ein und wechselte mit den Bewohnern Worte, die Rankstrail nicht verstand, während das Weinen und die Verzweiflung, die er hinterließ, unmissverständlich waren. Erstaunt sah der junge Hauptmann seinen Vater an, auch der war verstummt und sehr angespannt. Endlich war der Geier bei ihnen angelangt und begrüßte sie mit zeremonieller Höflichkeit, was den Vater nicht aufheiterte, sondern seine Besorgnis ganz im Gegenteil noch vergrößerte.
»Ich bin der Steuereinnehmer, werter Herr«, stellte der Geier sich vor, »das heißt, mir kommt die hohe Ehre zu, für die erhabene Stadt Varil die Steuern und Abgaben einzutreiben, welche die hochwohlgeborene Einwohnerschaft dieser schuldet, außerdem habe ich die hohe Ehre, bei Hochzeiten, Geburten, Beerdigungen und allen anderen Ereignissen zu präsidieren, die irgendwelche Veränderungen in der Bevölkerung der erhabenen Stadt Varil hervorbringen, da sämtliche derartigen Veränderungen der Besteuerung unterworfen sind, wie die weiten Herrschaften aus dem letzten Erlass gewiss schon entnommen haben. Der alte Herr kann nicht lesen? Das hätte ich niemals gedacht bei einem Herrn von solcher Distinktion! Unglücklicherweise kann ich das nicht als
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