Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
waren. In den engen Gassen im Schatten der beiden Mauern glühten ständig die Feuer der Essen, es war daher warm, mit ein Grund, warum sämtliche Bettler der Umgebung hier Unterschlupf suchten. Sie hockten auf dem Pflaster am Boden, zwischen den in Gold und Silber verzierten Rüstungen, die die Waffenschmiede ausstellten, und so entstand der kuriose Eindruck von zwei Heeren, eines der Hungerleider und eins der Helden, die beide da ihre Lager aufgeschlagen hatten und sich die Knochen wärmten.
»Schschschön!«, sagte Rankstrail und zeigte auf die aufgereihten Schwerterklingen.
Er fand es großartig, dieses Spiel von parallelen Linien, abwechselnd mit dem Kreisrund der Schilde, wodurch eine komplexe und anschauliche Geometrie entstand, mit sich überlagernden und überkreuzenden Formen und dem fantastischen und nicht weniger außergewöhnlichen Spiel der Schatten. Eine eisige Schönheit lag in den scharfen Kanten, eisig und grausam, aber in gewisser Weise beruhigend: Wo scharfe Klingen sind, kann niemand kommen und verletzen, weder Mütter noch Hühner.
Seine Mutter teilte seine Begeisterung nicht.
»Mir wäre es lieber, du hättest mit Waffen nichts zu tun. Auch wenn du einmal groß bist … Du könntest dir wehtun …«, murmelte sie leise, wirklich sehr leise, als ob sie Halsweh hätte.
Rankstrail betrachtete die Schwerter mit einer wilden Freude: Wenn die Orks je wiederkommen sollten, um Nerella zu verbrennen und seiner Mutter noch einmal wehzutun, dann würde er sie vernichten. Alle. Bis zum letzten. Auch wenn er selbst dabei sterben musste.
»Sch-schön! ’enn Oax Mama un Nenella aua, nimm’ Ak’ail Sch’ert un b’ing’ alle um. Alle. Alle Oax ’ot. Auch ’enn Ak’ail ’ot.«
Das w war ein schwieriger Buchstabe, bei t und r blieb er hängen, aber mit dem Rest kam er zurecht. Er konnte sprechen. Es war eine immense Mühe, aber es war zu bewältigen. Hätte er eher gewusst, wie glücklich das seine Mutter machte, er hätte sich am Riemen gerissen und schon früher gesprochen.
Er musste aber etwas Falsches gesagt haben, denn das Lächeln um Mund und Augen seiner Mutter erstarb. Jedes Mal wenn Rankstrail sich später verfluchte, weil er etwas ausgesprochen hatte, was er besser nicht gesagt hätte – und das kam nicht selten vor –, musste er an diesen Morgen bei den Waffenschmieden im Mittleren Bezirk denken. Sprechen war eine schwierige Angelegenheit. Es war nicht nur ein Problem, die Laute richtig hervorzubringen, da war noch etwas anderes, etwas Unwägbares, die Möglichkeit, jemanden zu verletzen, ohne dass man es wollte. Was die Dame gesagt hatte, stimmte, Rankstrail hatte es verstanden: Unhöflichkeit ist die pure Grausamkeit, ist wie ein Schlag oder ein Fausthieb. Als die Köchin seine Mutter mit Verachtung behandelte, hatte er das empfunden wie einen harten Schlag, wie wenn er im Winter auf dem Eis ausrutschte und sich, um den Wäschekorb nicht umzukippen, auf die Knie fallen ließ. Wut über dieselbe Art von Verletzung hatte er im Gesicht der kleinen Frau gelesen, Morgentau hatte man sie genannt, die zusammen mit den Bratspießen ihren Schweiß in den Küchenkaminen röstete. Rankstrail entdeckte, dass Worte sein konnten wie die Bewegungen des Wasserträgers, der durch die winzigen Gässchen des Äußeren Bezirks streifte und Zitronen und Trinkwasser verkaufte. Die Eimer hingen an einer Art Joch, das er auf den Schultern trug, und jeder, der nicht schnell genug auswich, bekam einen Schlag damit ab, unter den bedauernden Entschuldigungen ihres Eigentümers. Auch ohne es zu wollen, auch wenn man es mit aller Macht zu vermeiden suchte – Worte konnten verletzen.
»Die Orks kommen nicht hierher«, murmelte Mama, »hier sind wir in Sicherheit. Du brauchst keine Waffen. Varil ist uneinnehmbar … Da sind die Mauern … Weißt du, was in dem Glas ist?«
Durch die Hast, womit diese Worte ausgesprochen wurden, und den gewollt munteren Ton wurde sogar Rankstrail klar, dass das ein Versuch war, das Thema zu wechseln. Er hatte gedacht, es würde seine Mama stolz machen, dass er für sie kämpfen wollte, notfalls auch für sie sterben, aber so war es nicht. Er wollte, dass seine Mama stolz auf ihn war. Durch Feuer und Wasser würde er gehen, damit ihre Augen wieder strahlten. Vorerst versuchte er es wieder mit dem Sprechen, stolz, auch diesmal die Antwort zu wissen.
»G-g-uuut«, versuchte er zu erklären. »Schschön«, ergänzte er. Er fragte sich, mit welchen Lauten er das Licht bezeichnen
Weitere Kostenlose Bücher