Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
Vom Netzwerk:
mit Ausnahme dieser beiden.
    Als alles fertig war und Aurora sich setzen konnte, begannen die beiden Diener, die vorgesehenen fünf Gänge aufzutragen.
    Auf dem Tisch standen auch zwei riesige goldene Kerzenleuchter, in denen jeweils vier Kerzen steckten, schneeweiß und aus echtem Wachs, sie wurden angezündet, obwohl die Mittagssonne hell schien.
    Die Gänge, die nacheinander und mit großem Zeremoniell von den zwei Dienern aufgetragen wurden, waren: eine Zucchini, in hauchdünne Scheiben geschnitten, jede davon, wie umständlich erklärt wurde, mit je vier Tropfen aromatischen Öls beträufelt; Sellerie, in winzige Würfelchen gehackt, in Basilikumsoße; Kapernsalat mit einer ganzen Olive; mit Maisbrei gefüllte Rosenblätter; Komposition aus drei Trauben mit Blaubeeren. Auch die Blaubeeren waren drei, eine für jede Traubenbeere.
    Aurora aß sehr langsam, jede einzelne Traube wurde auseinandergeschnitten, jede Blaubeere geschält und jedes Zucchinischeibchen sechzehnmal zerschnitten, bevor sie endlich in den Mund geschoben wurden.
    Als Aurora fertig und alles abgetragen war, kam Rankstrail wieder näher. Er war erstaunt und konnte es nicht fassen. Vorausgesetzt selbst, es stimmte, was so erzählt wurde, nämlich dass durch Ironie des Schicksals die Kinder der Reichen in ihren prächtigen Kleidern wenig bis nichts essen, während die verlausten Kinder der Armen sich den Bauch nie voll genug schlagen können, so war diese Mahlzeit doch äußerst dürftig gewesen. Das ganze Zeug da hätte Fiamma nicht einmal für eine halbe Jause gereicht.
    »Sonst gibt es nichts?«, fragte er verwundert.
    Das Mädchen schüttelte den Kopf.
    »Das war das Mittagessen?«, fragte er noch einmal. Vielleicht waren die Mahlzeiten hier ja anders eingeteilt und das war nur ein kleiner Imbiss gewesen.
    Aurora nickte.
    »Und was habt Ihr zum Frühstück bekommen?«, fragte er hartnäckig weiter.
    »Es gilt als ratsam, dass ich nur einmal am Tag esse, sodass die Verdauung nicht belastet wird«, erklärte das Mädchen verständig. »Es gibt auch noch einen anderen Grund. Man hat mir mehrfach erklärt, dass die Augen eines Mädchens dadurch größer aussehen und dass es für ein Mädchen wichtig ist, möglichst große Augen zu haben«, fühlte sie sich verpflichtet zu erläutern.
    Aufmerksam betrachtete Rankstrail die Ringe unter ihren Augen, wo die Haut durchscheinend war, und die Hände, an denen die Knochen vorstanden wie bei einem Vögelchen. Die prächtigen Kleider und der kostbare Schmuck verbargen die Magerkeit; sie täuschten den Betrachter und lenkten seine Blicke ab, sodass er sie nicht zu den Backenknochen oder zu den Fingergelenken wandern ließ. Mit Grauen dachte Rankstrail an das viele Lob, das sie für ihren perlmuttfarbenen Teint und die Anmut der Glieder bekommen hatte. Im Klartext hieß das, mehr oder weniger bleich und ausgezehrt, denn normal ist, dass die Leute rosig aussehen, nicht perlmuttfarben, und dass die Gliedmaßen eines Mädchens oder einer Frau eine gewisse Fülle aufweisen, im Unterschied zu denen einer Libelle, Mücke oder einer Gottesanbeterin. Er fragte sich, welcher verbrecherische Idiot auf die Idee gekommen sein konnte, sie auszuhungern. Vor allem schien ihm, dass mit Anstand ertragener Hunger, wenn einfach nichts zum Beißen da ist, wertvoller, weniger schändlich war als dieses widerwärtige Geschnipsel von Blaubeerschalen und Basilikumstängeln an Rosenblütenblättern auf Kristalltellern vor goldenen Kandelabern. Es war klar, dass man sie aushungerte. Eine vertrocknete Puppe, nur noch Haut und Knochen, eingeschlossen in ihre Brokat- und Samtkleider, die nie mehr die Kraft finden würde, ihre Hülle abzustreifen und ihre Flügel zu entfalten.
    Rankstrail überlegte sich, dass er auf die Frage, ob sie Hunger habe oder ob sie Brot wolle, sicher nur eine ablehnende Antwort bekommen würde, also beschloss er, keine weiteren Umstände zu machen. Nachdem er noch einmal den verfluchten Harnisch und den Helm abgelegt hatte, holte er das Brot aus seinem Quersack, brach es in zwei ungleiche Teile und legte den größeren Teil Aurora direkt in die Hand.
    Er hoffte, dass sie so viel gesunden Menschenverstand haben möge, nie irgendwem von diesem Tag zu erzählen, denn an diesem Punkt wäre es mit Peitschenhieben allein nicht mehr getan.
    Aurora sah lang das Brot an, dann lang ihn, endlich dankte sie mit einer Verbeugung. Rankstrail sah ihr zu, wie sie ihre Zähne in das Brot schlug und dabei peinlich darauf bedacht

Weitere Kostenlose Bücher