Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
sie, um sie zu töten«, kündigte er an.
»Nein!«, schrie das Mädchen. »Nein … Ich bitte Euch, lieber das Kaninchen. Das ist schon tot.«
»Einverstanden, mein Fräulein«, willigte Rankstrail lächelnd ein.
Er ließ die Kaulquappen los. Er holte das Kaninchen aus dem Quersack, häutete es, und um es zu braten, machte er ein Feuerchen aus Schilfrohr, nicht ohne Aurora die Feuersteine zu zeigen und ihr zu erklären, wie sie funktionierten. Er verzichtete darauf, einen Spieß herzustellen, sondern verfuhr nach Art der Wilddiebe. Man gibt das Kaninchen oder was man eben hat, in eine Ofenröhre aus Erde und Steinen und zündet das Feuer darüber an. Er erklärte Aurora, dass der Garprozess langsamer ist als auf dem offenen Feuer, aber wenn jemand kam, brauchte man nur das Feuer zu löschen, und man würde nichts sehen und auch nichts riechen. Das Kaninchen war klein, es würde recht schnell gar sein, zum Glück, denn ein paar Wolken waren aufgezogen, und der Himmel hatte angefangen, sich zu verfinstern. Die Festgeräusche drangen nur gedämpft hierher, Gesang, Applaus, Lautenspiel und Hörnerschall. Wenn es zu regnen begann, würde das Fest mit einem Schlag zu Ende sein.
»Erlaubt Ihr, dass ich Euch eine Frage stelle, mein Herr?«, fragte Aurora ernst.
Rankstrail bejahte. Es machte ihn betreten und verlegen, mit »Herr« angeredet zu werden, es geschah ihm hier zum zweiten Mal, aber er wagte nicht, das Mädchen zu bitten, ihn bei seinem Namen zu nennen.
»Könntet Ihr mir wohl erklären, was ein reiner Schmerz ist?«
Rankstrail nahm sich fest vor, nie mehr aufs Geratewohl zu reden, wenn er mit Aurora sprach, denn dann bestand die Gefahr, dass er es mit Fragen zu büßen hatte, die ihm den kalten Schweiß auf die Stirn trieben und ihm das Gefühl gaben, im Treibsand zu stecken.
»Ein Schmerz, der nicht … das heißt, der nichts wegnimmt … Ich meine: etwas, was wehtut, auch ganz höllisch weh, aber einem doch nicht die Würde raubt. Das ist, wie wenn deine Mutter stirbt. Du leidest wie ein Hund, alles scheint verloren und sinnlos, aber … Als meine Mutter gestorben ist, habe ich furchtbar gelitten, aber … ich wusste … ja, eben … dass sie stolz auf mich gewesen war und dass ich stolz darauf war, sie zur Mutter gehabt zu haben … und da war keine Scham dabei. Wo keine Scham mit im Spiel ist, da ist der Schmerz rein.«
Rankstrail verstummte. Der Teufel sollte ihn holen! Das hätte er nicht sagen dürfen. Das Mädchen war erst vor Kurzem Waise geworden.
»Wenn die Mutter stirbt, ist das ein reiner Schmerz«, wiederholte sie, als ob sie sich eine Lektion aufsagen würde, deren Worte ihr vollkommen fremd waren. »Dürfte ich fragen, mein Herr, wenn ich Euch damit nicht zu nahe trete, wie Eure Mutter gestorben ist?«
Es hätte schlimmer kommen können, die Frage war einfach.
»Sie hat den Husten bekommen, der nicht vergeht, den, wo man Blut spuckt. Wir haben den Arzt gerufen, der hat gesagt, wir sollten ihr einen Aufguss aus Belladonna und Rosmarin geben und dann Hühnerbrühe. Wir haben alles verkauft, was man verkaufen kann, und ich habe gejagt, was ich jagen konnte, um den Aufguss aus Belladonna und Rosmarin und die Hühnerbrühe zu machen, aber sie ist trotzdem nicht gesund geworden«, antwortete Rankstrail.
Der Blick des Mädchens war seltsam intensiv, sie hing förmlich an Rankstrails Lippen. Das war nicht bloß Interesse. Das war, als ob … als ob sie dringend Informationen darüber benötigte, wie Mütter gewöhnlich sterben.
»Verzeiht, wenn ich indiskret bin, aber als Eure Mutter gestorben ist, was habt Ihr da gemacht?«, fragte sie weiter.
Rankstrail staunte immer mehr über die Richtung, die diese Unterhaltung nahm.
»Na ja«, begann er verlegen, »als sie gestorben ist, haben wir alle geweint …«
»Ihr habt geweint?«, fragte Aurora. »Gilt das nicht als unschicklich?«
»Nein«, antwortete Rankstrail zögernd. Jungs und Männer sollten nicht weinen, er hatte aber geweint, und sein Vater auch, und wenn er jetzt darüber nachdachte, hätte ihn bei der Beerdigung seiner Mutter irgendjemand blöd angeredet, weil er weinte, so hätte er ihn, ohne zu zögern, geohrfeigt. »Nein«, antwortete er mit größerer Entschiedenheit, »das ist es nicht.«
Nie hätte er gedacht, dass er einmal vor jemandem zugeben würde, dass er geweint hatte, aber nun, da es geschehen war, kam es ihm gar nicht mehr so schlimm vor.
»Ja, ich habe auch geweint«, fuhr er fort. »Wir haben alle geweint und
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