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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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und Rumänen bis Ende 2013 keine Arbeit in Deutschland annehmen, aber niemand kann eine bulgarische oder rumänische Familie an der Einreise und anschließend daran hindern, in ein überfülltes Hochhaus in Duisburg oder einen Dortmunder Slum zu ziehen, wo sie als Erstes lernt, wie man einen Antrag auf Kindergeld und Sozialhilfe stellt. Und niemand kann es einer bulgarischen oder rumänischen Familie übel nehmen, dass sie den Verlockungen des Wohlfahrtsstaates nachgibt. Wenn der Wohlfahrtsstaat nicht zu ihnen kommt, dann machen sie sich auf den Weg in den Wohlfahrtsstaat. So wie sich niemand darüber wundern kann, dass ein Fluss bergab fließt oder eine Tasse zu Boden fällt, wenn man sie loslässt.
    Es gibt Naturgesetze, die man nicht ungestraft ignorieren darf. Die Tatsache, dass Menschen ihrem Elend zu entkommen versuchen, indem sie irgendwo hinziehen, wo vermeintlich Milch und Honig fließen, gehört dazu. Deswegen ist der Begriff »Armutswanderung« nicht nur irreführend, sondern idiotisch. Oder hat man schon mal etwas von einer »Reichtumswanderung« gehört, von wohlhabenden Menschen, die eines Tages beschließen, in ein verarmtes Land zu ziehen, um ihren Reichtum mit den Einwohnern dieses Landes zu teilen? Migration war und ist immer Armutswanderung. Menschen suchen, seit sie sich in der afrikanischen Steppe aufgerichtet haben, immer nach besseren Lebensverhältnissen – so kam der Homo sapiens nach Europa, so kamen die Vandalen nach Rom, so kamen unzählige Iren und Deutsche, Italiener und Chinesen nach Amerika, und so kommen jetzt eben rumänische Roma zu uns.
    Zum Zeitpunkt des EU -Beitritts von Bulgarien und Rumänien waren die Lebensverhältnisse in diesen Ländern bekannt, zumindest jenen, die es wissen wollten. So wie die ökonomischen Zustände in Griechenland bekannt waren, als die Nachkommen der Hellenen in den Club aufgenommen wurden. Man wollte die »Wiege der Demokratie« unbedingt mit dabeihaben. Was für ein Glück, dass Ägypten nicht beitreten musste, nur weil dort die Schubkarre, das Bier und der Pflanzenfarbstoff Indigo erfunden wurden.
    Solche Fehler können nicht auf einen Mangel an Wissen zurückgeführt werden. Die EU beschäftigt Tausende von Experten: Ökonomen, Politologen, Soziologen, Kulturwissenschaftler, Historiker; sie vergibt darüber hinaus Forschungsaufträge und sie produziert Unmengen von bedrucktem Papier, die von Hunderten Übersetzern in 24 Sprachen übersetzt werden. Wenn all die Erkenntnisse dort zwar angehäuft und verbreitet, aber letztlich ignoriert werden, dann nennt das der Europapolitiker den »politischen Willen zur Einheit«. Dieser steht über allem, denn es müssen ja, wie wir wissen, WW 3 und Auschwitz2 verhindert werden. So entsteht zwangsläufig der Eindruck, Zweck all der Übungen ist es nicht, das Leben der EU -Bürger zu vereinfachen, sondern einen monströsen Betrieb am Leben zu erhalten, ihn laufend zu vergrößern und dadurch immer mehr Felder zu besetzen.
    Die zentrale Rolle kommt dabei nicht dem Parlament, sondern der Kommission zu, die wie ein hypertropher Wohlfahrtsausschuss agiert. Eines der Themen, mit denen sich die Kommission immer wieder beschäftigt, ist die so genannte »Corporate Social Responsibility«, CSR , die soziale Verantwortung der Unternehmen. Im »Lexikon der Nachhaltigkeit« – ( http://www.nachhaltigkeit.info/artikel/eu_gruenbuch_csr_773.htm ) ja, das gibt’s! – erfährt man, dass die EU -Kommission bereits im Jahre 2001 ein »Grünbuch« über »Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen der EU ( CSR )« veröffentlicht hat. Darin schlägt die Kommission vor, eine »europäische Stelle« zur Beobachtung der »wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen industrieller Wandlungsprozesse« einzurichten.
    »Funktion dieser Stelle soll es sein, einen proaktiven Ansatz in der Antizipierung und Bewältigung des Wandels zu entwickeln. Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin hat jetzt diese Initiative in ihr vierjähriges Turnusprogramm aufgenommen und damit ihre Funktion bekräftigt, die im Wesentlichen darin besteht, die relevanten Akteure durch Bereitstellung zuverlässiger und objektiver Information darin zu unterstützen, den industriellen Wandel besser zu verstehen, zu antizipieren und zu bewältigen.«
    Die einzige konkrete oder, wie man heute sagt, »belastbare« Information in dieser Mitteilung ist die, dass es in Dublin eine

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