Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
Vom Netzwerk:
Sie, die Kinder hier im Viertel …«
    »Ich meine, die hätten Pistolen haben können. Und wenn sie noch keine haben, besorgen sie sich vielleicht welche. Jetzt wissen die, wo Sie wohnen.«
    Moira lächelte. Sie wartete niemals vor ihrem eigenen Haus auf ein Taxi. Die Adresse, die sie der Vermittlung angegeben hatte, lag zehn Häuser weiter. Wenn man solche Tricks mal gelernt hatte, vergaß man sie nicht mehr. Sie war stolz auf sich. Die Liebe gab die Kraft, sich zu wehren, und die Erfahrung steuerte die Technik bei. Vielleicht war neunundvierzig doch kein so schlechtes Alter für eine Frau. Ich habe einen Mann gefunden, für den es sich zu kämpfen lohnt.
    »Was haben Sie denn für einen Akzent?« fragte Moira den Fahrer, um ein bißchen Small talk zu machen.
    »Der ist georgisch. Georgien in der ehemaligen Sowjetunion, nicht Georgia in den Staaten.«
    Also war er Russe. Als sie noch ein Mädchen war, waren die Taxifahrer manchmal Russen gewesen, Flüchtlinge vor dem Kommunismus. Jetzt waren sie wieder Russen, Flüchtlinge vor dem neuen Kapitalismus. Man konnte das Gefühl bekommen, daß man in einem historischen Hamsterrad lebte, in dem alles mögliche passierte, nur kein zivilisiertes Leben. Das würde sie Charlie erzählen, der mochte es, wenn sie so redete. Die Liebe war schon seltsam. Ihre Tochter war endgültig tot, sie hatte einen Riesenkater, wollte gerade ihren krebskranken Exmann besuchen und – sie fühlte sich toll, weil sie jemanden gefunden hatte, für den es sich lohnte zu kämpfen. Vertrau mir, Charlie, ich kann dir alles erklären. Und paß auf, daß dich niemand um die Ecke bringt, ja?
    Sie unterhielt sich mit dem Fahrer über die Bronx und sah zum Fenster hinaus, als sie die Triboro Bridge überquerten. Die Boote auf dem Harlem River krochen über das graue Wasser dahin; Boote und Flüsse veränderten sich nicht so schnell wie Autos und Straßen. Sie war früher einmal stolz auf diese Stadt gewesen und war es bis zu einem gewissen Punkt noch immer. Hier gab es Perspektiven, ja sogar Traditionen, die zeitlos waren und einem das Gefühl gaben, daß man Teil eines Ganzen von ewigem Wert war. Aber in Wahrheit schrumpfte die Seele der Stadt. Sie war schmutzig. Sie hatte miterlebt, wie innerhalb von zwanzig Jahren aus Direktheit Grobheit, aus Grobheit Feindseligkeit und aus Feindseligkeit Mordlust geworden war. Wenn Brutalität das einzige Mittel der Kommunikation mit seinen Mitmenschen wurde, dann war es Zeit, sich zu verabschieden. Hongkong? Da solltest du aber vorher noch ein paar Sachen klären, Mädel.
    Der Tagtraum endete, als das Taxi vor dem Mount Sinai hielt. Als sie der Frau in der Aufnahme sagte, in welchem Zimmer Mario lag, wurde diese deutlich freundlicher. Moira stand im Aufzug und knabberte wieder einmal an ihrem alten Zorn herum: Er ist Captain bei der New Yorker Polizei und kriegt ein Fünftausend-Dollar-Zimmer zum Sterben.
    Doch ihr Zorn ließ nach, als sie ihn sah. Die Traubenzuckerinfusion neben seinem Bett war nicht mit seinem Körper verbunden; die Schlaffheit des Plastikschlauchs, der daran herunterhing, spiegelte die Schlaffheit seiner Arme wider, die nebeneinander auf dem Bett ruhten. Sie wandte den Blick ab, um sich an die Veränderungen zu gewöhnen, die die Krankheit in drei kurzen Wochen an diesem schönen Körper verursacht hatte.
    Sie biß sich auf die Lippe, als sie auf sein Bett zuging. Es würde schwieriger werden, als sie es sich vorgestellt hatte. Verdammt noch mal, Frauen waren eben doch anders als Männer, egal, was sie immer behaupteten. Dieser Frauenheld hatte vor über zwanzig Jahren ihre Emotionen geweckt, das konnte sie noch immer nicht vergessen. Jeder Mann wäre in der Lage gewesen, die sanften Gefühle zu unterdrücken, die sie in sich aufkeimen spürte, doch sie schaffte das nicht. Sie setzte sich auf einen der Stühle neben dem Bett. Er hatte ziemlich viele Haare verloren.
    »Danke, daß du gekommen bist.« Die Stimme klang dünn und matt, das Lächeln wirkte gezwungen. Doch an seinen Augen sah sie, daß sein Geist noch klar war.
    »Ich werde dir jetzt nicht sagen, daß du umwerfend aussiehst, Mario.«
    Er senkte den Blick. »Kein Problem.« Sie lächelte.
    »Ich hab’ vergessen, dir Blumen mitzubringen. Eigentlich wollte ich das, aber dann haben zwei Jungs versucht, mich zu überfallen, und ich hab’s vergessen.«
    »Leben die beiden noch?«
    Jetzt mußten sie lachen, und plötzlich hatte sie Tränen in den Augen. Das war immer sein Geheimnis gewesen,

Weitere Kostenlose Bücher