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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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und unchinesisch zu; das war so etwas wie eine Reverenz an die Hüter des Gesetzes, die niemals hier auftauchten. Die Leute bewegten sich mit einer Freiheit hin und her, die es nur im Niemandsland gibt. Wo würde sich ein Mann im Rollstuhl wohl hier verstecken? Chan machte sich auf den Weg zum Desktop-Lager, fünfzig Meter in Richtung China. Versteck ein Blatt im Wald, versteck einen Spion an der Grenze: Lee war kein Dummkopf. Nur mit Shorts bekleidete Männer luden hastig Kartons mit allen berühmten Markennamen der Informationstechnologie von fünf großen Lastern ab, die mit eingeschalteten Scheinwerfern und laufendem Motor dastanden. Zahlreiche Sprachen beschrieben den Inhalt der Kartons als »Bildschirme«, »CPUs«, »Tastaturen«, »CD-Rom-Laufwerke«, oder »Lautsprecher«. Lee hatte ihm nie etwas von dieser anderen Seite seines Geschäfts erzählt. Der Laderaum des sechsten Lasters war geschlossen, und er stand ungefähr zehn Meter von den anderen entfernt. Chan meldete sich mit dem vereinbarten Klopfzeichen an und kletterte hinein, als die Plane hochgehoben wurde. Von seinem Rollstuhl aus strahlte Lee ihn mit kaum verhohlenem Sadismus an. Chan sah sich in dem Laster um: ein Krüppel, sein Rollstuhl, noch ein Stuhl, ein Tower-CPU auf dem Boden, dazu ein Bildschirm mit den bunten Farben von Windows 95.
    »Sie arbeiten ja Tag und Nacht«, sagte Chan.
    »Für das Vergnügen, das Sie mir verschafft haben, würde ich gern den Rest meines Lebens nicht mehr schlafen. Ein Mann bekommt nicht oft die Gelegenheit, einen Krieg anzustiften. Und wenn der Krieg dann noch zwischen den beiden Gruppen stattfindet, die er am meisten haßt …« Lee hob die Arme, küßte seine Finger und ließ die Hände in den Schoß sinken. Chan hatte ihn noch nie so entspannt erlebt.
    »Ich weiß Bescheid über die Kuriere – die Amerikanerin und ihre beiden chinesischen Freunde«, sagte Lee.
    »Sie sind tot.«
    »Das meine ich – ich weiß es.«
    Chan starrte ihn an. » Sie wissen es? «
    »Heute morgen haben ein paar britische Soldaten sie erschossen. Das ist der Vorteil der Informationstechnologie – über E-Mail kann man alles bekommen.« Er breitete die Hände aus. »Kinder reden mit Kindern, und die reden wieder mit ihren Eltern.« Lees Augen funkelten. »Nachrichten werden mit einer Geschwindigkeit von 28800 bps weitergegeben – und das ist für heutige Verhältnisse noch ein ziemlich langsames Modem.«
    Chan holte sich den übrigen Stuhl aus der Ecke und setzte sich.
    »Was wissen Sie sonst noch?«
    Lee beugte sich vor. »Ich habe es Ihnen schon gesagt, eine halbe Milliarde Dollar: Die waren für ein paar Kilo Uran. Die 14K haben ihn im großen Stil ausgetrickst. Aber er ist trotzdem kein völliger Holzkopf. Wie soll man den Marktpreis von atomwaffenfähigem Uran überprüfen, wenn man ein kommunistischer General ist, der in seinem Leben nicht weiter nach Westen gekommen ist als bis nach Yunan? Ganz, ganz vorsichtig, natürlich. Das dauert Wochen. Als er dann schließlich rausgefunden hat, daß er das Zeug bei einem anderen Lieferanten für ein paar Millionen hätte haben können, hatte er schon bezahlt. Haben Sie schon mal gesehen, wie ein Größenwahnsinniger ausrastet? Ich wünschte, ich wäre dabeigewesen, das muß phantastisch gewesen sein. Er hat Anweisungen gegeben, die Kuriere nach der Lieferung sofort umzubringen, verstehen Sie?«
    »Fast.« Chan dachte nach. »Nein, eigentlich nicht so richtig.«
    »Und wen setzt der reichste und vielleicht auch mächtigste Mann in Asien ein, um Triadenkuriere in Hongkong zu töten, die alle amerikanische Staatsbürger sind? Jedenfalls nicht die Volksbefreiungsarmee, dafür ist die Situation noch zu heikel.«
    »Andere Triaden.«
    »Genau. Und genau da beginnt die Sache, herrlich chinesisch zu werden. Er hat den Sun Yee On zehn Millionen gezahlt, damit sie die 14K-Kuriere so langsam wie möglich durch den Fleischwolf drehen: Rache im Namen des Volkes. Er ist ein Kommunist ohne jegliches Gefühl für Geschichte. Die Sun Yee On waren im Bürgerkrieg die größten Befürworter der Nationalisten und auch die größten Verlierer, als sie alle 1949 aus Chung King fliehen mußten. Die Sun Yee On hassen die Kommunisten sogar noch mehr als die anderen Triaden. Sie haben das Geld genommen und den 14K die Sache gesteckt. Natürlich waren die 14K enttäuscht. Schließlich hatten sie eine Abmachung getroffen – wenn ihm der Preis nicht paßte, hätte er ja zu einem anderen Lieferanten gehen

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