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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Bestellungen genau im Kopf. In dem Lokal herrschte ein Höllenlärm – Eßstäbchen kratzten auf Tellern, Geschirr wurde übereinandergestapelt, die Gäste schlürften laut Fischköpfe und Eier aus. Und auf dem Boden standen Spucknäpfe, wie früher überall in Asien. Die Nudeln dort waren schlicht und ergreifend die besten der Welt. Hinter jedem sitzenden Gast wartete bereits der nächste, dessen Atem man im Genick spürte und der den größtmöglichen psychologischen Druck ausübte, damit man schneller aß. Die Geschmacksnerven der Gäste wurden unerbittlich gereizt von dampfenden dim-sum- Körben , die alte Frauen mit mürrischem Gesicht auf Wägelchen herumschoben. Auch diese Frauen benutzten von Zeit zu Zeit die Spucknäpfe.
    Chan reihte sich in die Schlange derjenigen ein, die ihr Essen mitnehmen wollten, und widerstand der Versuchung, sich vorzudrängen. Aber schon nach fünf Minuten nutzte er die Verwirrung, die das Umfallen eines Tellerberges auf einem Wägelchen gleich bei der Küche stiftete. Während alle anderen noch hinschauten und lachten, schlüpfte er hinter eine Frau, die sich viel weiter vorne befand. Trotzdem dauerte es noch weitere zwanzig Minuten, bis er mit den Nudeln wieder in der Identifizierungsstelle eintraf.
    Er war enttäuscht, daß Tsim noch nicht mit den Tests begonnen hatte. Der Techniker war in ein Hochglanzmagazin vertieft. Chan schlich sich leise von hinten an Tsim an und bewunderte zusammen mit ihm die sinnlichen Konturen des neuen IBM-Thinkpad mit Pentium-Prozessor, aktivem Matrix-Display, sechzehn Megabyte Ram und einer 1,2-Gigabyte-Festplatte.
    »Nudeln«, brüllte Chan ihm ins Ohr.
    Tsim verschlang – das sah eher nach Einatmen als nach Essen aus – die Nudeln in weniger als acht Minuten, rülpste fünfmal, legte die Computerzeitschrift weg und schaltete dann das Terminal rechts neben sich ein.
    Selbst ein technologischer Neandertaler wie Chan sprach ein Akronym nur mit allerhöchster Hochachtung aus: CAFIS. Mit Hilfe importierter Software konnte Chan das Computer Assisted Fingerprint Indexing System – das computergestützte Fingerabdruckerfassungssystem – abfragen, um in Sekundenschnelle jeden in der Zentraldatei erfaßten Abdruck zu überprüfen. In Chans Anfangszeit bei der Royal Hong Kong Police Force hatte das Tage gedauert und war mit hohem Fehlerrisiko verbunden gewesen. Jetzt brauchte man nur noch einen Fingerabdruck, dessen Daten man eingab.
    Auch die Techniken, wie man Fingerabdrücke nahm, hatten sich verfeinert: Noch immer wurde hauptsächlich Puder verwendet, doch zusätzlich wurden andere Techniken eingesetzt: Magna Brush, Argon-Ionenlaser, Joddämpfe, Silbernitrat, Ninhydrin und Superkleber.
    Mit einer Pinzette holte Tsim das Plastiksäckchen (dessen Inhalt an die Chemiker in der Arsenal Street weitergeleitet worden war) aus der Pappschachtel, auf der die Nummer des Falls und Chans Name standen. Während Chan ihm zuschaute, drückte Tsim den oberen Teil des Säckchens in eine Schraubzwinge auf einem kleinen Dreifuß. Dann hob er den Dreifuß in einen Glaskasten, der so groß war wie ein kleiner Schrank, und schloß die Tür. Tsim konnte den Strahl der Laserkanone, die sich innerhalb des Glaskastens befand, von außen ausrichten. Im Innern befanden sich außerdem eine Kamera, die automatisch zusammen mit dem Laser fokussierte, und eine Metallschüssel mit Superkleber. Als der Laser fokussiert war, drückte Tsim einen Schalter herunter, der eine Wärmeplatte unter dem Superkleber erhitzte. Dämpfe stiegen hoch und lagerten sich an winzige Einbuchtungen in dem Plastiksäckchen an, die der Laser verstärkte. Tsim drückte einen weiteren Schalter herunter und löste so den Blitz der Kamera mehrere Male aus.
    Der Techniker zog ein Paar Plastikhandschuhe über, holte ein kleines Messer mit einziehbarer Klinge aus einer Schublade und löste den Umschlag des Buches damit ab. Dann schnitt er willkürlich weitere Seiten aus dem Prolog sowie den Kapiteln »Der Nahe Osten«, »Kubla Khan« und »Von Peking nach Bengalen« aus dem Meisterwerk des dreizehnten Jahrhunderts heraus.
    Mit Chans Feuerzeug zündete er eine kleine Petroleumlampe unter einem Glaskästchen an. Auf dem Boden des Kästchens befand sich ein Rost, unter dem Jodkristalle lagen. Er machte den Deckel des Kästchens auf und legte den vorderen Umschlag des Buchs hinein. Als violette Dämpfe von dem Rost hochstiegen, blies Tsim die Petroleumlampe aus. Chan sah zu, wie ölige Substanzen einen Teil der

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