Die letzten Tage von Hongkong
dir ja gesagt, du sollst es nicht machen lassen.« Wong machte eine vorwurfsvolle Geste mit dem Finger. »Die Feministinnen würden dich dafür erschießen.«
»Die Feministinnen? Was gehen mich die Feministinnen an? Um eine Feministin zu sein, muß man glauben, daß die Männer alle Macht haben. Mein Problem ist eher, daß ich ihnen zuviel Angst einjage. Ich bringe eine Erektion bei einem Italiener innerhalb von zwei Sekunden zum Schrumpfen. Vor achtzehn Monaten habe ich mir eingeredet, daß nicht meine aggressive Persönlichkeit an meinem gräßlichen Sexleben schuld ist, sondern mein kleiner Busen. Also hab’ ich ihn mir vergrößern lassen und gemerkt, daß es doch an meiner aggressiven Persönlichkeit liegt. Tja, und jetzt hab’ ich auch noch Probleme damit, und ich spiele mit dem Gedanken, gerichtlich gegen den Chirurgen in Los Angeles vorzugehen, der mich operiert hat. Es gibt ungefähr sechzig Frauen wie mich, denen allen der Busen wehtut und die Angst haben.«
»Im Moment gibt’s niemanden in deinem Leben?«
Sie hob achselzuckend die Hände. »Machst du Witze? Ich bin viel zu beschäftigt für so was.«
»Und was war mit dem blonden Jungen?«
»Ach, das war nur ein netter Zeitvertreib, Schätzchen.« Als Jonathan zusammenzuckte, fügte sie hinzu: »Er hat gerade bei der Staatsanwaltschaft angefangen. Ist wohl kaum mein Stil.«
»Ach! Und es gibt wirklich niemanden sonst?«
Sie lächelte. »Weißt du, warum ich so gern mit dir zum Mittagessen gehe, Johnny? Du bist der einzige Mann unter Fünfzig in dieser Stadt, der keine Angst vor mir hat. Na schön, es hat letzte Woche in Schanghai tatsächlich einen Mann gegeben, der war sehr sensibel, ein richtiger Künstler – er hat mich an dich erinnert. Aber ich hab’ ihm den Laufpaß geben müssen, weil er sich an mich geklammert hat wie eine Klette. Ich hab’ ihm ein bißchen Geld gegeben, damit er sich aus dem Staub macht. Wie geht’s in der Kanzlei? Es könnte sein, daß ich Arbeit für dich habe – einen großen Auftrag. Noch größer als das letzte Mal.«
Wong stellte sein Glas auf den Tisch und nahm mit den Stäbchen ein winziges Stück eingelegten Ingwer. Dann sah er sich in dem Raum um. Die Männer und Frauen, die sich hier im Club versammelten, repräsentierten zusammengenommen einen Reichtum, der sich durchaus mit dem Bruttosozialprodukt mancher europäischer Länder vergleichen ließ. Gemeinsam hätten sie Manhattan kaufen können, wenn sie es nicht schon getan hatten. Doch trotz der hektischen Energie, die Hongkong ausstrahlte, war es der Stadt nie gelungen, irgendeinen wichtigen Beitrag zu Wissenschaft, Kunst oder Literatur zu leisten, die Filme von Bruce Lee einmal ausgenommen. All die Gespräche, die hier auf Englisch, Kantonesisch, Mandarin, Deutsch, Französisch oder Italienisch abliefen, drehten sich in der einen oder anderen Form um das gleiche – und zwar nicht um die Liebe oder die Verbesserung der Menschheit. Wong fragte sich oft, ob er glücklicher geworden wäre, wenn er weniger Glück gehabt hätte. Vielleicht hätte er irgendwo in Europa Kunstfilme machen, eine schmerzliche Beziehung mit einer Frau, die über ihre Gefühle sprach, oder Freunde haben sollen, die sich Sorgen um die Welt machten.
Er sah Emily lächelnd an. »Ich werde dir immer dankbar sein, das weißt du.«
Sie strahlte. »Aber wichtiger: Wie geht’s Jenny?«
Wong strahlte ebenfalls und beugte sich ein wenig vor. Wenn es um intime Dinge ging, unterhielten sie sich immer auf Kantonesisch. »Wir sind schwanger. Jetzt ist es offiziell.«
Emily stieß einen kurzen Schrei aus und hob beide Arme über den Kopf.
»Bravo.«
Alle drehten sich um, sahen Emily an und wandten sich wieder ihrem Essen zu. Sie grinste. Dann winkte sie einen Kellner heran und bestellte Champagner. Er brachte einen silbernen Eiskübel auf einem Ebenholzpodest. Wieder drehten sich die Leute um, als der Korken knallte.
Sie stießen an.
»Und wie willst du das bambino nennen – bleibst du in der Hongkong-Tradition und wählst eine Kombination aus Englisch und Kantonesisch?«
»Wahrscheinlich schon. Der Familie zuliebe werden wir uns einen traditionellen chinesischen Namen aussuchen.« Er nannte ihr eine ganze Reihe. Die Namen der Mädchen beinhalteten immer die Bezeichnung für eine Blume, die der Jungen beschworen die Weisheit.
Emily nickte zustimmend. »Ach ja, ich wollte mich noch für die Party neulich abend bedanken. Da habe ich deinen Schwager zum erstenmal bewußt wahrgenommen.
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