Die letzten Tage von Hongkong
jahrelang was vorzumachen, denn meine Tochter ist stockschwul. Wahrscheinlich war das so eine Wochenendgeschichte, und sie war heilfroh, als er wieder nach Hause zu seiner Frau ist.«
Moira seufzte. »Vermutlich hatte sie genug Geld und Zeit, sich zu überlegen, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Das einzig Gute war, daß sie gern gelernt hat. Es ist ihr leichtgefallen. Sie hat eine Menge gelesen, fast alles über die Mafia. Irgendwann hat sie herausgefunden, daß die amerikanische Mafia den größten Teil ihrer Dollars durch Geldwäsche für weniger gut organisierte Gruppen wie zum Beispiel die Kolumbianer verdient. Die Kolumbianer hatten durch den Kokainboom in den Staaten und in Europa so viel Bargeld, daß sie für die Geldwäsche tatsächlich die Mafia als Subunternehmer einschalteten, und die verlangte zwanzig Cents pro Dollar. Also ist Clare auf folgenden Vorschlag verfallen:
Schickt mich aufs College, laßt mich was übers Finanzwesen lernen, gebt mir was zu tun, mir ist langweilig. Der consigliatore hat mit den Achseln gezuckt, warum nicht? Schließlich heuerte die Mafia Leute mit Harvard-Abschluß an, die für sie das Geld zählten – vielleicht konnte sie ihnen noch nützlich sein.
Also ist sie drei Jahre lang auf die Uni, und es hat ihr tatsächlich gefallen. Sie hat ihre Abschlußarbeit über Geldwäsche und ihre Auswirkungen auf die Volkswirtschaft geschrieben. Ich glaube, sie war unheimlich fasziniert von der Mafia.
Dann ist sie wieder zum consigliatore. Sie ist ihm ein bißchen um den Bart gegangen, hat ihm seinen Lieblingswhisky eingeflößt und sich mit ihm über die Zukunft unterhalten. Mittlerweile schreiben wir 1989/90; die Berliner Mauer ist gefallen, und die UdSSR hört auf zu existieren. Plötzlich gibt’s eine neue Größe im internationalen Machtgefüge, und die heißt Russenmafia. Wir von der New Yorker Polizei haben mit Bandenkriegen gerechnet, als die Russen mit völlig neuen Drogen, Tricks, Waffen und Millionenbetrügereien ankamen, von denen Al Capone nur träumen konnte. Aber auf den Straßen war es merkwürdig ruhig. Es kam nicht zum Krieg. Warum? Weil auch die Russenmafia Geld waschen mußte und sich die örtliche Mafia gern raushielt. Die hatte schon ein paarmal was vom FBI auf den Deckel gekriegt, und außerdem hatte sie genug Geld. Ihre Mitglieder haben ihre Kinder aufs College geschickt und ihnen eingeimpft, daß Verbrechen sich nicht auszahlt. Da war’s doch eine gute Idee, sich einfach zurückzulehnen und zwanzig oder mehr Prozent pro Narko-Dollar einzustreichen, während andere den Kopf hinhielten, oder?
Als Clare das mitgekriegt hat, war sie völlig aus dem Häuschen. Und mit allen möglichen Mitteln hat sie den Don dann überredet, sie im Sommer 1990 nach Ostberlin zu einem Toptreffen zwischen den russischen Gangstern, den Oberhäuptern der fünf New Yorker Familien und ein paar anderen mitzunehmen. Du kannst mir glauben, das FBI hat bei dem Treffen mitgehört. Journalisten haben Artikel und ganze Bücher darüber geschrieben. Es klingt wie aus einem schlechten Roman, aber das, was bei dem Treffen passiert ist, war folgendes: Das organisierte Verbrechen aus verschiedenen Ländern hat die westliche Welt unter sich aufgeteilt. Die Hauptkontrahenten waren die Russen auf der einen Seite und die Amerikaner und Sizilianer auf der anderen. Die Amerikaner hatten die nötigen Vorkenntnisse in der Geldwäsche, die Sizilianer Zugang zu allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft, und die Russen … tja, die hatten alles, was in Rußland noch übrig war. Dort gab es keine Regierung mehr. Man konnte Panzer im Dutzend kaufen, Raketenabschußbasen, Lastwagen voll mit AK47, Gold, Öl, Silber, Aluminium, Kupfer – so ziemlich alles, was die Leute brauchten und wollten. Natürlich habe ich damals nicht gewußt, daß Clare bei dem Treffen dabei war. Ich erinnere mich nur noch, wie stolz sie zu der Zeit auf sich selbst war. Sie hat ausgesehen, als könnte sie die ganze Welt in die Tasche stecken. Kann ich noch eine Zigarette haben?«
Chan holte die Schachtel aus der Tasche seines weißen Sakkos. Mittlerweile war es dunkler geworden. Liebespaare gingen Arm in Arm vorbei, japanische Fotografen schraubten ihre Tausend-Dollar-Kameras auf Stative und versuchten eine neue Perspektive von einem der meistfotografierten Nachtmotive der Welt zu finden. Chan hatte ungefähr zwanzig Sprachen aus dem Mund der Leute gehört, die hinter ihrer Bank vorbeigegangen waren. Wenn das Fazit
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