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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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von Moiras Ausführungen darin bestand, daß die Fleischwolfmorde in einem internationalen Zusammenhang zu sehen waren, wo sollte er dann anfangen? Die Menschen waren heutzutage fast genauso mobil wie Geld. Doppelstaatsbürgerschaften waren nichts Ungewöhnliches mehr, und die erfolgreichsten Gangster hatten bis zu fünfzig Bankkonten.
    Er zündete ihre Zigaretten an. Moira nahm einen langen Zug.
    »Dann hat die Welt sich für sie aufgehört zu drehen. Es ist alles gleichzeitig passiert. Der consigliatore hat sie doch irgendwann einmal mit einer Frau im Bett erwischt, und es ist zum Streit gekommen. Clare hat gedroht, ihn zu verpfeifen – und das tut man in solchen Kreisen einfach nicht, stimmt’s? Ein paar Tage später wurde sie wegen Marihuanabesitzes verhaftet. Lächerlich, wenn man bedenkt, was sie den größten Teil ihres Lebens gemacht hatte. Sie hat behauptet, das sei eine Warnung der Mafia gewesen. Jedenfalls stand sie auf der Straße. Man hat sie nicht ganz rausgeschmissen, aber sie hatte ihr Fett weg. Die wußten, daß sie ohne sie nicht überleben konnte, und sie wollten sichergehen, daß sie das auch merkte. Die Botschaft war ziemlich klar: Wenn du nicht spurst, Schätzchen, landest du das nächste Mal für den Rest deines Lebens im Kittchen. Ich glaube, Clare war zuvor noch nie mit der Realität konfrontiert worden; sie hatte immer gedacht, sie würde auf ewig mit ihrer Straßenschläue und ihrem Jungmädchenglück durchkommen. Sie war nicht frei, nein, sie gehörte der Mafia, mit Haut und Haaren.«
    Chan gab ein grunzendes Geräusch von sich. Die Versklavung durch das organisierte Verbrechen war so alt wie China.
    »Außerdem war der Stoff, den sie seit mehr als zehn Jahren nahm, rein, unverschnitten. Sie hatte ihn immer über ihre Mafiakontakte bekommen und ihn auch mit Mafiageld bezahlt. Als sie nichts mehr gekriegt hat, wurde sie ernsthaft krank. Da ist sie wieder zu mir gezogen. Sie ist den größten Teil des Tages zitternd und stöhnend auf dem Bett gelegen. Manchmal hat sie sich stundenlang vor Schmerzen gekrümmt. Dann ist sie mit den Fäusten auf mich losgegangen. Eleganz war bei ihr immer nur eine Fassade. Ich konnte ihr lediglich ein paar kleine Portionen von der Straße besorgen und Methadon, damit ihr nicht mehr so übel war. Ich habe mir freigenommen, damit ich bei ihr sein konnte. Das ist über einen Monat lang so gegangen. In dem Monat bin ich innerlich um mindestens hundert Jahre gealtert, denn in der Zeit hat sie geredet, ohne viel davon mitzukriegen.
    Ganz allmählich habe ich mir all das zusammengereimt, was ich dir gerade erzählt habe – und ich habe das erstemal ernsthafte Depressionen bekommen. Ich mußte akzeptieren, daß sie trotz ihres Zustandes nur wieder in die Mafia zurück wollte. Sie wollte wieder den besten Stoff, die größte Geldwäscheorganisation aufbauen, die es je gegeben hatte, und irgendein obdachloses Mädchen finden, das sie verführen konnte.
    Sex, Drogen, Macht – das waren ihre Hauptantriebskräfte. Nun, irgendwann haben sich die Wolken dann verzogen. Sie hatte recht gehabt mit ihrer Vorhersage: Die Mafia konnte ihre Dienste gebrauchen. Die Dons haben sich gedacht, daß sie genug bestraft worden war und etwas über die Macht gelernt hatte. Wenn sie mit einem Mitglied der Mafia zusammen war, dann gehörte sie zu diesem einen Mann; Frauen hatten nichts mehr zu suchen in ihrem Leben. Sie bekam wieder ihre Lieblingsdrogen, fing an zu lächeln und hat mich vergessen. Sie ist so schnell wie möglich ausgezogen. Das letzte Mal habe ich vor zweieinhalb Jahren etwas von ihr gehört. Sie hat vorbeigeschaut und versucht, mir Geld zu geben, aber ich habe es nicht genommen. Ich weiß noch, daß sie ziemlich viel über China geredet hat. Sie war in einem Buchladen gewesen und hatte sich jede Menge Bücher gekauft. Den ersten Impuls hatte sie offenbar durch das Buch bekommen, das ich dir gegeben habe – Die Reisen von Marco Polo. Das hat sie während ihrer Krankheit immer wieder gelesen.
    Tja, Clare war also wieder auf den Beinen, aber ich nicht. Ich habe mit dem Trinken angefangen. Und mit dem Stehlen. Als ich’s das erstemal gemacht hab’, war ich so betrunken, daß ich’s am nächsten Tag gar nicht glauben konnte. Beim dritten Mal habe ich dann den Dienst bei der New Yorker Polizei quittiert, damit es zu keinen Peinlichkeiten kommt. Schon verrückt, wie wir uns manchmal an die Moral klammern, findest du nicht auch? Warum habe ich mit dem Stehlen angefangen? Mein

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