Die letzten Tage von Hongkong
eine kleine Tube Klebstoff und befestigte damit ein Klettband an der Säule. Die Kameras hatten Weitwinkelobjektive und Autofokuseinrichtungen. Chan versuchte, den richtigen Winkel zu erraten, bevor er die Kamera an dem Klettband fixierte. Er wiederholte den Vorgang an zwei weiteren Säulen und holte dann ein Plastiksäckchen aus seiner Tasche, das er mit fein vermahlenem Zucker füllte. Er warf das Säckchen auf den Boden, um es schmutzig zu machen, und trug dann die Trittleiter wieder zu der flackernden Lampe, die er auseinanderbaute, um das Säckchen darin zu verstauen. Schließlich kehrte er zu den Kameras zurück und schaltete sie ein. Sie wurden von Nickel-Kadmium-Batterien angetrieben, die durch Körperwärme aktiviert wurden und einen unsichtbaren Infrarotstrahl auslösten. Die Batterien mußten alle fünf Tage ausgewechselt werden. Die verbleibenden beiden Kameras brachte er an den Eingängen des Lagerhauses an.
Die ganze Aktion war ein Schuß ins Blaue und basierte auf Chans Wissen um das Verhalten von Süchtigen. Für einen Drogensüchtigen nimmt der jeweilige Stoff nicht nur fast religiöse Dimensionen an, sondern führt auch zu zwanghaftem Verhalten. Chan wußte das, denn er war selbst nikotinsüchtig. Wenn ein Süchtiger Clare Coletti dabei beobachtet hatte, wie sie den Stoff versteckte, würde es fast übermenschliche Willensstärke erfordern, nicht zurückzukommen und ihn zu holen. Er half dem Zufall noch ein wenig nach, indem er beide Türen unverschlossen ließ und die beiden uniformierten Polizisten im Erdgeschoß wegschickte, die schon seit Wochen die Ausweise aller das Gebäude betretenden Personen kontrollierten. Dann kehrte er ins Polizeirevier zurück, um die restlichen Termine des Tages wahrzunehmen.
Chan hatte gleich nach der Entdeckung des Bottichs eine Reihe von Unterwelt-Größen befragt, doch seine Erkenntnisse waren immer noch spärlich. Der Tod der drei Polizisten durch eine Überdosis Strahlung ließ die Ermittlungen förmlicher werden. Höchstwahrscheinlich würden die Aufzeichnungen über den Fall irgendwann von Sicherheitskräften, Diplomaten, Politikern, ja, vielleicht sogar von Historikern, eingesehen werden. Er wollte beweisen können, daß er die üblichen Verdächtigen befragt, die üblichen Informanten herbeizitiert und die üblichen Sackgassen überprüft hatte.
Obwohl sich ein Teil von ihm dagegen wehrte, fühlte er sich wunderbar. Er arbeitete wieder und war offiziell rehabilitiert, auch wenn manche der Meinung waren, daß so viel Glück etwas mit Unehrlichkeit zu tun haben mußte. Beim Begräbnis von Higgins und den Tauchern war er ganz hinten gestanden und bald wieder gegangen. Nun saß ihm Saliver Kan, ein Handlanger der Sun Yee On, bereits zum zweitenmal innerhalb eines Monats an seinem Schreibtisch gegenüber. Aston hatte ihm den Spitznamen »Spucknapf auf zwei Beinen« gegeben.
»Ich hab’s Ihnen doch schon erklärt, Erstgeborener«, sagte Kan, »das waren nicht die Triaden.« Er schnaubte verächtlich; dabei wurden seine Atemwege für einen Moment frei. »War aber keine schlechte Arbeit. Vielleicht benutzen wir das nächste Mal, wenn die 14K die Nathan Road übernehmen wollen, auch einen Fleischwolf.«
»Brauchen Sie ein Taschentuch?« fragte Chan.
»Ficken Sie sich ins Knie.«
»War ja nur so ein Gedanke.«
»Geben Sie mir den Papierkorb. Danke. Ich hab’ gehört, Sie haben den Fleischwolf gefunden. Wird der versteigert wie die alten Polizeiautos?«
»Nein.«
Kan spuckte eine ziemliche Menge Schleim in den Papierkorb.
»Schade. Aber macht nichts, man kann sie kaufen, stimmt’s?«
»Da ist Geld im Spiel, oder? Viel Geld?«
»Nur, weil’s um Geld geht, heißt das noch lange nicht, daß die Triaden damit zu tun haben, Erstgeborener.«
»Drei Menschen sind zu Tode gefoltert worden. Sie müssen geschrien und sich gewehrt haben. Man hat sie an den Ort gebracht, an dem sie getötet wurden, dann hat man den Bottich beseitigt und in das Lagerhaus transportiert. Wahrscheinlich mit einem Lastwagen mit Hebevorrichtung. Irgend jemand muß etwas gesehen oder gehört haben.«
Kan schniefte laut und vernehmlich. »Wieviel Geld?«
Chan hatte am Morgen mit Commissioner Tsui gesprochen. Die Regierung war bereit, jeden Preis zu zahlen.
»Vielleicht eine Million Hongkong-Dollar.«
Zum erstenmal hatte Chan das Gefühl, daß Kan ihm wirklich zuhörte. Der Gangster strich sich über das blaue Unterhemd und spuckte nachdenklich aus. »Du heiliger Strohsack. Für drei
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