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Die letzten Tage von Pompeji

Die letzten Tage von Pompeji

Titel: Die letzten Tage von Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lytton Bulwer
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Wir haben die Vergangenheit in der Taufe von uns abgewaschen. Glaube nicht, dies sei unser Vollbringen, es ist Gottes Werk. Komm her, Medon,« dem alten Sklaven zuwinkend, welcher der dritte gewesen, der für die Zulassung des Apäcides gesprochen hatte, »Du bist der Einzige unter uns, der nicht frei ist; aber im Himmel werden die Letzten die Ersten werden und so sei es auch bei uns. Entfalte jene Rolle, lies und erkläre.«
    Wir haben wohl nicht nöthig, der Vorlesung Medons oder den Erläuterungen der Versammlung hier Wort für Wort zu folgen. Jene damals seltsamen und neuen Lehren sind jetzt allgemein bekannt. Achtzehn Jahrhunderte haben uns aus der Lehre der Schrift oder dem Leben Christi wenig zu erläutern übrig gelassen. Auch würden wir in den Zweifeln, welche einem heidnischen Priester sich aufdrängten, wenig mit unsern Ideen Verwandtes, sowie wenig Gelehrsamkeit in den Antworten finden, die bloße Zweifel von unerzogenen, ungebildeten und einfachen Leuten erhielten, deren einzige Kenntnis in dem Bewußtsein bestand, daß sie größer waren, als sie schienen.
    Etwas rührte den Neapolitaner besonders; als die Vorlesung beendigt war, hörte man ein sehr leises Klopfen an der Thüre; das Einlaßwort wurde auf vorgängiges Befragen gegeben, die Thüre öffnete sich und zwei Kinder, deren ältestes sieben Jahre alt sein mochte, traten schüchtern ein. Es waren die Kinder des Hausherrn, jenes dunklen und kräftigen Syriers, der seine Jugend unter Rauben und Blutvergießen zugebracht hatte. Der älteste der Gemeinde, jener alte Sklave, öffnete ihnen seine Arme; sie flogen zu ihm hin, kletterten zu seiner Brust hinauf und seine harten Züge wurden mild, als er sie liebkoste. Und diese kühnen und inbrünstigen Männer, unter dem Wechsel der Dinge aufgewachsen, von den rauhen Winden des Lebens zerschlagen – Männer von eiserner und unbezwinglicher Tapferkeit, bereit, einer Welt die Stirne zu bieten, gefaßt für die Folter und gewaffnet für den Tod – Männer, die jeden denkbaren Gegensatz zu den schwachen Nerven, den leichten Herzen, und der zarten Gebrechlichkeit der Kinder darboten, drängten sich nunmehr um die Kleinen, die Falten ihrer Stirne legte sich und ein freundliches und herzliches Lächeln trat auf ihre bärtigen Lippen. Dann öffnete der alten Mann die Rolle und lehrte die Kinder jenes schöne Gebet nachsprechen, das wir noch immer das Gebet des Herrn heißen und auch unser Kinder lehren. Dann erzählte er ihnen in einfacher Sprache von der Liebe Gottes zu der Jugend, und wie kein Sperling vom Dache falle, ohne daß es sein Auge sehe. Dieser liebliche Brauch, die Kinder in die Religion einzuweihen, wurde in der frühesten Kirche lange Zeit beibehalten, zum Gedächtnis der Worte: »Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht.« Und von ihm vielleicht rührte jene abergläubische Verleumdung her, die den Nazarenern dasjenige Verbrechen zuschrieb, welches die Nazarener, als sie Sieger waren, den Juden zur Last legten, nämlich das Einziehen von Kindern zu ihren abscheulichen Gebräuchen, bei welchen diese insgeheim geschlachtet würden.
    Der ernste, reuige Vater aber schien in der Unschuld seiner Kinder eine Rückkehr zu seinem früheren Leben zu fühlen – zu seinem Leben, ehe er gesündigt hatte. Der Bewegung ihrer jungen Lippen folgte er mit ernstem Blicke; er lächelte, als sie mit schüchterner und ehrerbietiger Miene die heiligen Worte nachsprachen, und als diese Belehrung vorüber war, und sie frei und heiter auf seinen Schooß sprangen, da drückte er sie an seine Brust, küßte sie zu wiederholtenmalen, und Thränen flossen seine Wangen hinab – Thränen, deren Quelle aufzufinden unmöglich gewesen wäre, so sehr vermischten sich in ihnen Freude und Kummer, Reue und Hoffnung, die Gewissensbisse der eigenen Brust und Liebe für die Kleinen!
    Es lag etwas, sage ich, in dieser Scene, das den Apäcides besonders ergriff, und es ist in der That schwer, eine feierliche Handlung zu erdenken, die der Religion der Liebe entsprechender wäre, mehr zu den gewöhnlichen und allgemeinsten Gefühlen spräche, eine empfänglichere Saite in der Menschenbrust berührte.
    In diesem Augenblicke öffnete sich eine innere Thüre leise und ein sehr alter Mann trat, auf einen Stab gestützt, in das Zimmer. Bei seinem Eintritt erhob sich die ganze Versammlung; ein Ausdruck tiefer und zärtlicher Achtung malte sich auf jedem Gesichte, und Apäcides fühlte sich, als er die Züge des Eintretenden

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