Die letzten Tage von Pompeji
Nacht hindurch, und als sie Sosia am folgenden Morgen besuchte, beeilte sie sich, seine Geschwätzigkeit in jenen Kanal zu leiten, nach welchem dieselbe zuvor schon eine natürliche Strömung gezeigt hatte.
Sie begriff übrigens wohl, daß die Nacht die einzige Möglichkeit eines Entkommens bot und deshalb sah sie sich genöthigt, so schmerzlich ihr auch der Verzug fiel, ihren beabsichtigten Versuch bis dorthin zu verschieben.
»Die Nacht,« sagte sie, »ist die einzige Zeit, wo wir die Beschlüsse des Schicksals entziffern können – heute Nacht also mußt Du zu mir kommen. Aber was möchtest Du erfahren?«
»Beim Pollux, ich möchte gerne so viel wissen, als mein Herr; aber daran ist nicht zu denken. Laß mich wenigstens wissen, ob ich genug ersparen werde, um meine Freiheit zu kaufen, oder ob dieser Egypter sie mir umsonst gibt. Bisweilen begeht er solche Handlungen der Großmuth. Dann, vorausgesetzt nämlich, daß ich frei werde, ob ich wohl in den Besitz der hübschen Taverne unter den Myropolien[Die Buden der Parfümeriehändler] komme, die mir schon lange in die Augen sticht? Es ist etwas hübsches um den Handel mit Wohlgerüchen, und er paßt sich recht gut für einen zurückgezogenen Sklaven, der etwas von einem Herrn an sich hat.«
»Nun ja, wenn Du genaue Antwort auf diese Fragen haben willst, so gibt es verschiedene Wege, um Dich zu befriedigen. Da ist die Lithomanteia oder der sprechende Stein, der auf Deine Fragen mit der Stimme eines Kindes antwortet; aber wir haben eben jenen kostbaren und seltenen Stein nicht hier. Dann gibt es auch die Gastromanteia, wobei der Dämon bleiche und geisterhafte Gestalten auf das Wasser wirft, welche die Zukunft vorhersagen; aber hiezu braucht man Gläser von besonderer Art, um die geweihte Flüssigkeit aufzunehmen, die wir nicht haben. Ich denke deshalb, die einfachste Weise, Deinen Wunsch zu erfüllen, sei die Anwendung der Magie der Luft.«
»Ich hoffe,« sagte Sosia zitternd, »daß nichts besonders Schreckliches dabei vorkommt? Ich bin kein Freund von Geistererscheinungen.«
»Fürchte Dich nicht; Du wirst nichts sehen, sondern nur an dem Wallen des Wassers hören, ob Dein Wunsch erfüllt wird oder nicht. Sei also zuerst darauf bedacht, daß, sobald der Abendstern am Himmel erscheint, die Gartenthüre ein wenig offen steht, damit sich der Dämon zum Eintritt aufgefordert fühle, und stelle Früchte und Wasser neben das Thor, als ein Zeichen der Gastfreundschaft. Komm dann drei Stunden nach dem Eintritt des Zwielichts mit einer Flasche des kältesten und reinsten Wassers hierher und Du sollst Alles erfahren, wie mich's meine Mutter nach thessalischer Weise gelehrt hat. Aber vergiß die Gartenthüre nicht, Alles hängt davon ab. Sie muß, wenn Du kommst, schon drei Stunden lang offen stehen.«
»Verlaß Dich auf mich,« erwiderte Sosia, nichts Böses ahnend; »ich weiß, wie es einem Mann von Stande zu Muth wird, wenn man ihm eine Thüre vor der Nase zuschließt, wie mir's beim Garkoch schon oft begegnet ist, und ich weiß auch, daß eine achtbare Person, wie es ein Geist doch ohne Zweifel ist, einen kleinen Beweis höflicher Gastfreundschaft nur gut aufnehmen kann. Einstweilen, niedliches Kind, ist hier Dein Frühstück.«
»Und wie geht es mit dem Prozeß?«
»Oh, die Richter sind noch immer daran – es ist ein langes und breites Gerede – die Sache wird erst morgen ausgehen.«
»Morgen – bist Du dessen gewiß?«
»Man sagt es wenigstens.«
»Und Ione?«
»Beim Bacchus! Sie muß ziemlich wohl sein, denn sie war stark genug, diesen Morgen meinen Herrn ganz wüthend zu machen. Ich sah ihn, mit Gewitterwolken auf der Stirne aus ihrem Zimmer kommen.«
»Befindet sich dieses hier in der Nähe?«
»Nein – in dem oberen Stockwerk. Doch, ich darf hier nicht länger plaudern. Vale! «
Zwölftes Kapitel.
Eine Welpe wagt sich in das Netz der Spinne.
Die Nacht des zweiten Gerichtstages war angebrochen, und es war so ziemlich um dieselbe Zeit, in welcher Sosia dem furchtbaren Unbekannten sich gegenüberstellen sollte, als durch dasselbe Gartenthor, das der Sklave offen gelassen hatte, zwar keiner von den geheimnisvollen Geistern der Erde oder Luft, wohl aber die schwere und höchst menschliche Gestalt des Isispriesters Kalenus trat. Er beobachtete kaum das bescheidene Opfer geringer Früchte und noch geringeren Weins, das der fromme Sosia für gut genug erachtet hatte, um den unsichtbaren Fremdling zu empfangen. »Ein Zoll für den Gartengott,« dachte
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