Die letzten Tage von Pompeji
Freund?«
»Oh, größter, edelster der Menschen!« rief Kalenus fast weinend vor Freude. »Kannst Du meine kränkenden Zweifel an Deiner Gerechtigkeit und Großmuth also verzeihen?«
»Still, hier wollen wir einlenken und zu den oscischen Bögen hinabsteigen.«
Dreizehntes Kapitel.
Der Sklave befragt das Orakel – Wer sich selbst blind macht, den können Blinde für Narren halten – Zwei neue Gefangene in einer Nacht.
Sehnsüchtig wartete Nydia auf die Ankunft des ebenso ungeduldigen Sosia. Nachdem der leichtgläubige Diener seinen Muth durch herzhaften Genuß eines bessern Getränkes, als das, welches er dem Dämon vorgesetzt, aufgestärkt hatte, schlich er sich in das Zimmer der Blinden.
»Nun, Sosia, bist Du vorbereitet? Hast Du die Schale mit frischem Wasser?«
»Ja freilich; aber ich zittre ein wenig. Du bist doch gewiß, daß ich den Geist nicht sehen werde? Ich habe gehört, diese Herrn seien keineswegs von hübscher Gestalt oder höflichem Benehmen.«
»Sei ohne Sorgen! Und hast Du auch die Gartenthüre ein wenig offen gelassen?«
»Ja, und ich habe einige schöne Äpfel und Nüsse auf ein Tischchen daneben gelegt.«
»Ganz gut. Und die Thüre ist jetzt offen, so daß der Geist eintreten kann?«
»Gewiß!«
»Gut, so öffne auch diese Thüre; so – laß sie gerade halb offen. Und jetzt, Sosia, gib mir die Lampe.«
»Was! Du willst sie doch nicht auslöschen?«
»Nein, aber ich muß meinen Zauber über ihren Strahl aussprechen. Es wohnt ein Geist im Feuer. Setze Dich.«
Der Sklave kam dieser Weisung nach, und nachdem sie sich einige Zeit stillschweigend über die Lampe gebeugt, erhob sich Nydia und sang mit leiser Stimme folgenden Reim:
Mit Liebe muß auf uns Thessal'ens Frauen
Das Reich der Lüfte wie des Wassers schauen;
Denn Zauberkräfte wurden uns verliehen,
Die selbst den Mond vom Himmel niederziehen.
Ja, unser ist was je Egypten lehrte,
Sei's auf verborg'nem Weg uns zugekommen,
Sei es den Blumen, sei's dem Lied entnommen.
Oh, höre Geist der unsichtbaren Luft,
Die blinde Tochter von Thessal'en ruft;
Der Kunst Erichto's die zum Leben weckte,
Was schon der Tod mit seinen Händen deckte;
Beim Könige von Ithaka, dem Weisen,
Der aus der Wiesenquelle Silberstreifen
Das Wort der Weissagung heraufbeschwören;
Bei Orpheus, dem Bezauberer der Ohren,
Der mit des magischen Gesanges Kraft
Euridicen der Unterwelt entrafft,
Und bei Medea's krausen Zaubersprüchen,
Die ihr entströmt, als Jason ihr entwichen –
Geist, den die Luft als ihren Herrn verehret,
O höre Eine, die Dir angehöret!
Laß Deinen Hauch in diesen Becher strömen,
Und gib der bangen Seele zu vernehmen,
Was in der Zukunft nachtumhüllten Zügen
Für schwarze und für heitre Loose liegen.
Komm, milder Luftgeist, komm auf mein Gebet,
Und gib ihr Antwort, die Dich angefleht.
Komm, – o komm!
Dann soll kein Gott im Himmel und auf Erden
Die paph'sche Königin der Liebe nicht,
Noch der lebend'ge Herr von allem Licht,
Noch die verhüllte Dreigestalt der Nacht,
Noch selbst der Donnerer in seiner Nacht –
Kein Gott, kein Gott soll mehr gepriesen werden!
Komm, – o komm!
»Das Gespenst kommt jetzt gewiß,« sagte Sosia, »ich fühle, wie es über mein Haar hinzieht.«
»Stelle Deinen Becher mit Wasser auf den Boden. Gut, jetzt gib mir Dein Tuch her, damit ich Dir Gesicht und Augen verbinde.«
»Aha, das ist doch immer der Brauch bei solchen Zaubereien. Nicht so fest; sanft, sanft.«
»So! Kannst Du noch sehen?«
»Sehen, beim Jupiter! Nichts als Dunkelheit!«
»Sprich also jede Frage, die Du an das Gespenst stellen möchtest, mit leiser, flüsternder Stimme dreimal aus. Erhältst Du eine bejahende Antwort, so wirst Du das Wasser sieden und wallen hören, ehe der Geist darauf hinhaucht; im verneinenden Fall aber bleibt das Wasser ganz still.«
»Aber Du wirst mir hoffentlich keinen Possen mit dem Wasser spielen, he?«
»Laß mich den Becher unter Deine Füße stellen. – Jetzt bist Du gewiß, daß ich den Becher nicht berühren kann, ohne daß Du es bemerkst.«
»Ganz schön! Jetzt also, o Bacchus, steh mir bei! Du weißt, daß ich Dich jederzeit mehr liebte als alle andere Götter, und ich Dir diesen silbernen Becher weihen, den ich im vorigen Jahr dem dicken Carptor[Kellermeister] gestohlen habe, wofern Du bei diesem wasserliebenden Geist ein gutes Wort für mich einlegst. Und Du, o Geist! hör und erhöre mich. Werd' ich im nächsten Jahr im Stand sein, meine Freiheit zu erkaufen? Du weißt es, und da Du in der
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