Die letzten Tage von Pompeji
dies hielt er für eine leichte Aufgabe. Kalenus war oft von ihm zu verschiedenen religiösen Handlungen in die benachbarten Städte verwendet worden. In einem derartigen Auftrage nun, konnte er behaupten, habe er ihn auch jetzt verschickt, um den Altären der Isis zu Stabä und Neapolis Sühnopfer für die Ermordung ihres Priesters Apäcides darzubringen. War einmal Kalenus fort, so konnte sein Leichnam nach vor des Egypters Abgang von Pompeji in den tiefsten Sarnus geworfen werden, und wurde er dort je aufgefunden, so vermuthete man ohne Zweifel allgemein, die atheistischen Nazarener haben ihn ermordet, um sich für den Tod Olinths in der Arena zu rächen. Nachdem er schnell diese verschiedenen Pläne zu seiner eigenen Sicherheit überdacht hatte, verbannte Arbaces sofort jede Erinnerung an den unglücklichen Priester aus seinem Gemüth, und ermuthigt durch den Erfolg, der in der neuesten Zeit alle seine Entwürfe gekrönt, wandte er seine Gedanken ungetheilt Ione'n zu. Als er sie das letztemal gesehen, hatte sie ihn durch vorwurfsvollen und bitteren Spott, den seine hochmüthige Natur nicht zu ertragen vermochte, aus ihrer Nähe vertrieben. Jetzt fühlte er sich ermuthigt, den Besuch zu wiederholen; denn seine Leidenschaft für sie äußerte auf ihn dieselben Wirkungen, wie sie ein derartiges Gefühl bei andern Menschen hervorbringt. Es trieb ihn unaufhaltsam in ihre Nähe, obgleich er in dieser Nähe erbittert und gedemühtigt wurde. Aus Zartgefühl für ihren Gram legte er seine dunkeln und prunklosen Gewänder nicht ab, erneuerte aber die Wohlgerüche in seinen Rabenlocken, brachte die Tunika in die anmuthigsten Falten und begab sich sodann nachdem Zimmer der Neapolitanerin. Da er auf seine Frage, ob sich Ione schon zur Ruhe begeben habe, von der außerhalb des Zimmers harrenden Sklavin erfuhr, daß sie noch auf war, und ungewöhnlich ruhig und gefaßt sei, so wagte er sich in ihre Gegenwart. Er fand seine schöne Pflegetochter vor eimem Tischchen sitzend, das Gesicht in nachdenklicher Stellung auf beide Hände gelehnt. Dasselbe entbehrte jedoch heute seines gewöhnlichen, hellen und psychenartigen Ausdrucks süßer Geistesgröße; die Lippen stunden offen – das Auge war ausdruckslos und unaufmerksam und das lange, dunkle Haar, das ungeordnet auf ihren Nacken herabfiel, verlieh durch seinen Gegensatz den Wangen, die bereits die Rundung ihres Umrisses verloren hatten, eine weitere Blässe.
Arbaces beobachtete sie einen Augenblick, ehe er näher trat. Auch sie schlug die Augen auf; doch, als sie den Eintretenden erkannte, schloß sie dieselben wieder mit einem Ausdruck von Schmerz, ohne sich jedoch zu rühren.
»Ach,« begann Arbaces in leisem, ernstem Tone, während er achtungsvoll, ja demüthig vertraut und sich in einiger Entfernung von dem Tische niedersetzte: »ach, daß mein Tod Deinen Haß tilgen könnte, dann wollte ich so freudig sterben! Du thust mir Unrecht, Ione; aber ohne Murren will ich das Unrecht tragen, wenn ich Dich nur bisweilen sehen darf. Zanke, schmähe, verachte mich, – wenn Du willst – ich will es tragen lernen. Denn ist nicht selbst Dein bitterster Ton meinem Ohre süßer als die Musik der kunstvollen Laute? So Du schweigst, scheint die Welt stille zu stehen – eine Stockung tritt ein in den Adern des Herzens – es gibt keine Erde, kein Leben ohne das Licht Deines Antlitzes und die Melodie Deiner Stimme.«
»Gib mir meinen Bruder und meinen Bräutigam wieder,« sagte Ione mit ruhigem und flehenden Ton, während einige große Thränen, ohne daß sie es bemerkte, ihre Wangen hinabrollten.
»Oh, daß ich den Einen vom Tode erwecken und den Andern retten könnte!« erwiderte Arbaces mit anscheinender Rührung; »Ja, um Dich glücklich zu machen, wollte ich meiner unglücklichen Liebe entsagen und gern und freudig Deine Hand in die des Atheners legen. Die Möglichkeit ist immer noch vorhanden, daß er ungefährdet aus dem Prozeß hervorgeht« (Arbaces hatte die Kunde nicht zu ihr dringen lassen, daß die Gerichtsverhandlung bereits begonnen), »und in diesem Falle sollst Du volle Freiheit haben, ihn selbst loszusprechen oder zu verdammen. Und glaube nicht, o Ione, daß ich Dich länger mit einer Liebesbitte verfolgen werde. Ich weiß, es wäre nutzlos. Nur gestatte mir, mit Dir zu weinen, mit Dir zu klagen. Vergib mir eine tief bereute Heftigkeit, deren Wiederkehr Du nie mehr zu befürchten hast. Laß mir Dir nun wieder sein, was ich einst gewesen – ein Freund, ein Vater und ein
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