Die letzten Tage von Pompeji
suchen; das Tischchen, das Du aufgestellt, sah ich wohl, aber die Thüre war, wie ich gewiß weiß, zu; verlaß Dich darauf, daß Kalenus durch den Garten eintrat und natürlich die Thüre hinter sich zumachte.«
»Aber sie war nicht verschlossen.«
»Doch; denn ich selbst, ärgerlich über eine Nachlässigkeit, die die Bronzen im Peristyl der Gnade des ersten besten Diebes preisgab, drohte den Schlüssel herum, zog ihn ab und – ich fand nämlich den betreffenden Sklaven nicht, sonst würde ich ihn tüchtig ausgezankt haben – hier steckt er noch in meinem Gürtel.«
»O gnädiger Bacchus, ich habe also nicht umsonst zu Dir gebetet. Laß uns keinen Augenblick verlieren; wir wollen sogleich in den Garten – vielleicht ist sie noch dort!«
Der gutmüthige Kallius willigte ein, dem Sklaven beizustehen, und nachdem sie vergeblich die anstoßenden Zimmer und die Nischen des Peristyls untersucht hatten, traten sie in den Garten.
Um dieselbe Zeit etwa hatte Nydia beschlossen, ihr Versteck zu verlassen und sich hinauszuwagen. Leicht zitternd, den Athem anhaltend, der bisweilen krampfhaft hervorbrach – jetzt an den blumenbekränzten Säulen des Peristyls hingleitend – dann den stillen Mondschein, der auf dessen eingelegten Boden hinfiel, mit ihrem Schatten verdunkelnd – hierauf die Terrasse des Gartens erklimmend und unter den düstern und athemlosen Bäumen hinschleichend, erreichte sie endlich die verhängnisvolle Thüre – um sie verschlossen zu finden. Wir alle haben schon jenen Ausdruck des Schmerzes, der Ungewißheit und der Furcht gesehen, den eine plötzliche Enttäuschung des Tastsinns, wenn ich nicht dieses Ausdrucks bedienen darf, auf dem Gesicht eines Blinden erscheinen läßt. Welche Worte aber wären im Stande, das fürchterliche Wehe, das Hinabsinken des ganzen Herzens zu schildern, das jetzt auf den Zügen der Thessalierin sichtbar war! Wieder und wieder tasteten ihre kleinen, zitternden Hände an der unerbittlichen Thüre umher. Armes Geschöpf! – Vergebens war all dein edler Muth, deine unschuldige List, dein Mühen, dem Jäger und seiner Meute zu entgehen. Nur wenige Schritte von dir stehen deine Verfolger, lachend über deine Bemühungen – deine Verzweiflung; denn sie wissen, daß du ihnen nicht mehr entrinnen kannst, und warten mit grausamer Geduld den beliebigen Augenblick ab, ihre Beute zu erfassen. Wohl dir, daß Du sie nicht siehst!
»Still, Kallius, laß sie machen, wir wollen sehen, was sie anfängt, wenn sie sich überzeugt hat, daß die Thüre verschlossen ist.«
»Sieh – jetzt erhebt sie das Gesicht zum Himmel – sie murmelt etwas – sie sinkt verzweifelnd nieder! Nein – beim Pollux, sie hat irgend einen neuen Plan; sie ergibt sich noch nicht! Beim Jupiter, ein zähes Köpfchen! Sieh, jetzt springt sie auf – jetzt schlägt sie den Rückweg ein – sie denkt an einen andern Ausweg! Ich rathe Dir, Sosia, nicht länger zu zögern. Pack sie, ehe sie den Garten verläßt – jetzt!«
»Ha, Wegläuferin! Habe ich Dich wieder – he?« rief Sosia, die unglückliche Nydia fassend.
Wie der letzte menschenähnliche Schrei des Hasen in den Fängen der Hunde – wie der durchdringende Schreckensruf, den ein plötzlich aufgeweckter Nachtwandler ausstößt – war der Schrei des blinden Mädchens, als sie den plötzlichen Griff ihres Kerkermeisters fühlte. Es war ein Schrei jener fürchterlichen Todesqual, jener vollendeten Verzweiflung, so im Ohre jedes Hörers bis auf die fernsten Zeiten fortzutönen vermöchte. Ihr war, als würde jetzt dem sinkenden Glaukus das letzte Brett aus den Händen gerissen. Bisher war es ein Kampf zwischen Leben und Tod gewesen, jetzt aber hatte der Tod das Spiel gewonnen.
»Götter!« rief Kallias, »dieses Geschrei wird das Haus in Aufregung bringen! Arbaces hat einen sehr leisen Schlaf. Stopfe ihr den Mund!«
»Ach ja, da habe ich gerade das Tuch, mit welchem die junge Hexe meinen Verstand wegzauberte. Komm her, so ist's recht; jetzt bist Du stumm und blind zugleich.«
Und die leichte Bürde in seine Arme nehmend, erreichte Sosia bald das Haus und das Zimmer, aus welchem Nydia entwichen war. Dort nahm er ihr den Knebel ab und überließ sie einer Einsamkeit, die so qualvoll und fürchterlich war, daß sie den Hades selbst kaum an Schrecken zu überbieten vermöchte.
Sechszehntes Kapitel.
Die Theilnahme guter Freunde an unserem Unglück – Der Kerker und seine Opfer.
Der Abend des dritten und letzten Gerichtstages über Glaukus und Olinth
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