Die letzten Tage von Pompeji
Sprache ihrer Kindheit, die fast jeder Italiener aus den höheren Ständen zu jener Zeit verstand – abfaßte. Sorgsam wand sie den schützenden Faden um das Schreiben und bedeckte den Knoten mit Wachs. Ehe sie die wichtige Depesche in Sosia's Hände niederlegte, redete sie ihn folgendermaßen an: »Sosia, ich bin blind und in Haft; vielleicht gedenkst Du mich zu betrügen; vielleicht gibst Du nur vor, diesen Brief an Sallust zu überliefern, ohne Deinen Auftrag zu vollziehen. Aber feierlich weihe ich hiemit Dein Haupt der Rache, Deine Seele den höllischen Mächten, wenn Du mein Vertrauen täuschest. Ich fordere Dich auf, Deine Rechte Hand in die meinige zu legen, und mir folgende Worte nachzusprechen: ›Bei dem Boden, auf welchem wir stehen, bei den Elementen, welche Leben erhalten und Leben vernichten können, bei dem Alles rächenden Orkus, bei dem allsehenden Jupiter schwöre ich, daß ich meines Auftrags mich ehrlich entledigen und diesen Brief treulich in die Hände Sallust's überliefern will; wenn ich aber diesen Eid breche, möge der volle Fluch des Himmels und der Hölle über mich kommen!‹ Genug – ich traue Dir – empfange Deinen Lohn. Es ist schon dunkel – mach' Dich sofort auf den Weg.«
»Du bist ein sonderbares Mädchen und hast mich fürchterlich erschreckt; aber es geht alles sehr natürlich zu, und wenn Sallust aufzufinden ist, so will ich ihm diesen Brief einhändigen, wie ich geschworen. Meiner Treu, ich mag auch schon meine kleinen Sünden auf dem Gewissen haben; aber Meineid – nein! das überlaß ich vornehmeren Leuten.«
Mit diesen Worten entfernte sich Sosia, nachdem er sorgfältig den schweren Riegel an Nydia's Thüre vorgeschoben, und sie noch überdies sorgsam verschlossen hatte. Hierauf begab er sich, den Schlüssel in seinen Gürtel steckend, in seine eigene Zelle, hüllte sich von Kopf zu Fuß in einen großen Mantel und schlüpfte durch die Hinterthüre ungestört und ungesehen hinaus.
Die Straßen waren leer und somit gelangte er bald zum Haus des Sallust. Der Pförtner hieß ihn den Brief da zu lassen und wieder heimgehen, da Sallust über die Verurtheilung des Glaukus zu betrübt sei, daß er unter keinem Vorwande gestört werden dürfe.
»Aber ich habe einmal geschworen, diesen Brief in seine eigenen Hände zu überliefern, und muß es also auch thun.«
Damit drückte Sosia, der aus Erfahrung genau wußte, daß sich Cerberus seinen Brocken nicht gerne entziehen lasse, dem Pförtner ein Halbdutzend Sesterze in die Hand.
»Gut, gut,« versetzte dieser, nachgiebiger gestimmt, »Du kannst eintreten, wenn Du willst; aber um Dir die Wahrheit zu sagen, Sallust vertrinkt gerade seinen Kummer. Das ist so seine Weise, wenn ihn etwas beunruhigt. Er bestellt ein tüchtiges Abendessen, den besten Wein, und steht nicht eher auf, bis Alles aus seinem Kopf ist, – außer dem Falerner.«
»Ein herrliches Mittel fürwahr! Ach, was ist es so schön, reich zu sein! Wenn ich Sallust wäre, würde ich mir jeden Tag einen neuen Kummer in den Kopf setzen. Aber leg' jetzt ein gutes Wort bei dem Atriensis ein; ich sehe ihn gerade kommen.«
Sallust war zu traurig, um Besuche zu empfangen; aber er war auch zu traurig, um allein zu trinken; deshalb hatte er gewohnterweise seinen Lieblingsfreigelassenen zu seinem Kumpanen gewählt, und nie sah man ein so sonderbares Banket; denn bisweilen seufzte der gutmüthige Epikuräer, winselte und weinte laut; dann aber wandte er sich mit verdoppeltem Eifer zu einer neuen Schüssel oder seinem frischgefüllten Becher.
»Guter Bursche,« sagte er zu seinem Gefährten, »es war ein fürchterlicher Urtheilsspruch – o weh! – das Zicklein ist nicht übel, nicht wahr? – Lieber, armer Glaukus! – welch einen Rachen der Löwe obendrein hat! Ach, ach, ach!«
»Nimm einen Schluck Wein!« rief der Freigelassene.
»Es ist ein wenig zu kalt; aber wie muß es erst den Glaukus frieren. Schließ morgen das Haus – kein Sklave soll hinaus – keiner von meinen Leuten soll diese verfluchte Arena durch seinen Besuch beehren, nein, nein!«
»Einen Schluck Wein – Dein Kummer macht Dich zerstreut. Bei den Göttern! so ist's – ein Stück von diesem Käsekuchen!«
In diesem günstigen Augenblicke nun wurde Sosia in die Gegenwart des untröstlichen Zechers zugelassen.
»Ha, wer bist Du?«
»Nur ein Bote an Sallust. Ich überbringe ihm dieses Billet von einer jungen Dame. So viel ich weiß, bedarf es keiner Antwort. Kann ich wieder gehen?«
So sprach der
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