Die letzten Tage von Pompeji
geführt, wo Arbaces saß. Seine Befreier hatten ihm zwar etwas Nahrung gereicht, aber das Hauptstärkungsgmittel für seine schwachen Glieder war die Rache.
»Der Priester Kalenus! Kalenus!« schrie das Volk; »ist er's? Nein, es ist ein Todter!«
»Er ist der Priester Kalenus,« sagte der Prätor ernsthaft. »Was hast Du vorzubringen?«
»Arbaces aus Egypten ist der Mörder des Apäcides, des Priesters der Isis; diese Augen sahen ihn den Mord vollbringen. Aus dem Kerker, in welchen er mich warf aus der Finsternis und den Schrecken des Hungertodes haben mich die Götter befreit, um den Verbrecher zu entlarven! Gebt den Athener frei, er ist unschuldig!«
»Deswegen hat ihn auch der Löwe verschont; ein Wunder! ein Wunder!« rief Pansa.
»Ein Wunder! ein Wunder!« jubelte das Volk; »bringt den Athener hinweg und werft Arbaces dem Löwen vor! «
Von allen Seiten erschallte der Ruf: » Werft Arbaces dem Löwen vor! «
»Kampfwärter, bringt den angeklagten Glaukus hinweg, bewacht ihn aber dennoch,« sagte der Prätor. »Die Götter thun heute Wunder.«
Als der Prätor das Wort der Befreiung sprach, hörte man ein Freudengeheul; es kam von einer weiblichen, von einer Mädchenstimme her und durchzuckte die Herzen der Zuschauer mit elektrischer Gewalt. Diese Stimme war rührend und heilig, und das Volk stimmte theilnehmend in den Jubel ein.
»Stille!« sagte der ernsthafte Prätor; »wer ist hier?«
»Nydia, das blinde Mädchen,« antwortete Sallust; »ihre Hand hat Kalenus aus dem Grabe befreit und Glaukus vor dem Löwen errettet.«
»Davon nachher,« sagte der Prätor; »Kalenus, Priester der Isis, klagst Du Arbaces der Ermordung des Apäcides an?«
»Ja.«
»Hast Du den Mord gesehen?«
»Mit diesen Augen, Prätor.«
»Genug für jetzt. Hier haben wir weder Zeit noch schickt sich der Ort zur Untersuchung der näheren Umstände. Arbaces aus Egypten, hörtest Du die Anklage gegen Dich? Du hast noch nicht gesprochen; was hast Du zu sagen?«
Das Volk hatte seine Blicke schon längst auf Arbaces gerichtet; doch war unterdessen die Verwirrung, welche bei der ersten Anklage des Sallusts und dem Eintritt des Kalenus sich seiner bemächtigt hatte, wieder gewichen. Das Geschrei: » werft Arbaces dem Löwen vor! « hatte ihn allerdings zittern gemacht, und das dunkle Braun seiner Wange war einer bleichen Farbe gewichen; doch erlangte er bald seine vorige Dreistigkeit und Selbstbeherrschung wieder. Stolz wies er die erbitterten Blicke, welche aus unzähligen Augen ihn entgegenblitzten, zurück und entgegnete in einem ihm ganz eigenthümlichen ruhigen, aber gebieterischen Tone dem Prätor auf seine Frage: »Prätor, diese Anklage ist so unsinnig, daß sie kaum eine Erwiderung verdient. Mein erster Ankläger ist der edle Sallust, der vertrauteste Freund des Glaukus! Mein zweiter ist ein Priester; ich ehre sein Gewand und seinen Beruf; aber Volk von Pompeji, man kennt so ziemlich den Charakter des Kalenus; sein Geiz und Golddurst ist fast sprüchwörtlich; das Zeugnis solcher Männer läßt sich erkaufen! Prätor, ich bin unschuldig!«
»Sallust,« sagte der Editor, »Wo fandest Du den Kalenus?«
»In den Kerkern des Arbaces.«
»Egypter,« sagte der Prätor, die Stirne runzelnd, »Du hast also einen Priester der Götter ins Gefängnis geworfen, und warum?«
»Höre mich,« antwortete Arbaces, ruhig, aber mit sichtbarer Verlegenheit sich erhebend: »Dieser Mann drohte mir, er wolle die Anklage gegen mich vorbringen, welche er nun vorgebracht hat, wenn ich nicht sein Stillschweigen mit der Hälfte meines Vermögens erkaufen würde. Ich machte ihm Vorstellungen, aber vergebens. Ich bitte um geneigtes Gehör; laßt nicht den Priester mich unterbrechen! Edler Prätor, und Du, o Volk von Pompeji – ich war ein Fremdling im Lande, ich wußte mich unschuldig, aber das Zeugnis eines Priesters konnte mir doch verderblich werden. In meiner Verlegenheit lockte ich Kalenus in die Zelle, aus welcher er nun befreit wurde, unter dem Vorwande, daß dort mein Geld verwahrt liege. Mein Vorsatz war, ihn so lange darin gefangen zu halten, bis das Schicksal des wahren Verbrechers entschieden sein würde und seine Drohungen mir nicht mehr schaden könnten. Durch mich wäre ihm übrigens kein Leid geschehen; ich habe vielleicht gefehlt, aber wer unter Euch wird nicht das Gesetz der Selbsterhaltung anerkennen? Wenn ich schuldig bin, warum hat dieser Priester bei der Untersuchung geschwiegen? Damals war er noch auf freiem Fuße. Warum
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