Die letzten Tage von Pompeji
Regen fiel auf die menschenleeren Straßen, auf das Amphitheater selbst, kurz überall hin, fern und nah, wobei mancher gewaltige Steinhagel in die bewegte See stürzte.
Jetzt dachte das Volk nicht mehr an die Verurteilung des Arbaces; Jeder sann nur auf seine eigene Rettung. Jeder suchte so schnell als möglich zu fliehen, wodurch ein höchst gefährliches Gedränge entstund. Rücksichtslos trat man auf die Gefallenen; unter Geschrei, Seufzern, Flüchen und Gebeten stürzte die Menge auf die zahlreichen Ausgänge des Theaters. Wohin sollten sie fliehen? Einige, welche ein zweites Erdbeben vermutheten, eilten nach Hause, um sich mit ihren kostbaren Gütern zu beladen und noch bei Zeiten zu entkommen; Andere zogen sich aus Furcht vor dem Aschenregen, der jetzt so stark, und zwar Guß auf Guß, herabfiel, unter die Dächer der Häuser und Tempel, oder wo sie sonst einen Zufluchtsort fanden. Aber nur finsterer und gewaltiger wurde die Wolke, welche sich über ihnen lagerte. Der heitere Mittag ward in eine plötzliche rabenschwarze Nacht verwandelt.
Fünftes Kapitel.
Die Zelte des Gefangenen und die Höhle des Todes – Der Gram kennt keinen Schrecken.
Erstaunt über seine Rettung und nicht recht wissend, ob er wirklich wache, war Glaukus von den Kampfwärtern in eine kleine Zelle des Theaters geführt worden. Sie warfen dem Athener einen weiten Mantel über und drängten sich glückwünschend und verwundert um ihn. Auf einmal wurde außerhalb der Zelle heftig und eindringlich gesprochen; die Thüre ging auf und das blinde Mädchen lag, von einer freundlichen Hand geleitet, zu den Füßen des Glaukus.
»Ich habe Dich gerettet,« rief sie aus; »jetzt laßt mich sterben!«
»Nydia, mein theures Mädchen! mein Schutzgeist!«
»O laß mich Dich berühren, Deinen Odem fühlen! Ja, ja, Du lebst! Wir sind nicht zu spät gekommen! Die schreckliche Thüre, sie wollte fast nicht aufgehen! und Kalenus, o seine Stimme glich einem ersterbenden Hauch unter Gräbern. Wir mußten warten; Götter, es schienen mir ganze Stunden zu verstreichen, ehe Speise und Wein seine Kräfte wieder etwas hergestellt hatten; aber Du lebst! Du lebst noch! und ich – ich habe Dich gerettet!«
Diese rührende Scene wurde bald durch das eben beschriebene Ereignis unterbrochen.
»Der Berg! das Erdbeben!« schrie man nach allen Seiten. Die Kampfwärter flohen mit den andern Zuschauern und überließen es Glaukus und Nydia, sich selbst zu retten.
Als der Athener von dem hereinbrechenden Unglücke hörte, dachte sein edles Herz sogleich an Olinth. Durch die Hand der Götter war dieser von dem Tiger befreit worden; sollte er nun einem nicht minder traurigen Tode in der benachbarten Zelle überlassen bleiben? Glaukus nahm Nydia bei der Hand, eilte durch die Gänge und gelangte zu dem Verwahrungsorte des Christen. Er fand Olinth auf den Knieen liegend und im Gebet begriffen.
»Steh auf! steh auf, mein Freund!« rief er ihm zu. »Flieh und rette Dich! Sieh, die Natur ist Deine furchtbare Befreierin!« Er führte den verwunderten Christen hinweg, machte ihn auf das Geschrei und das Gedräng der bestürzten Menge aufmerksam und zeigte ihm die Wolke, welche immer finsterer und finsterer heranschwebte und Asche und Bimssteine ausgoß.
»Dies ist Gottes Hand! Gott sei gelobt!« sagte Olinth demüthig.
»Fliehe! suche Deine Brüder auf! Bewerkstellige mit ihnen Deine Rettung. Lebe wohl!«
Olinth gab weder Antwort, noch bemerkte er die Entfernung seines Freundes. Hohe und feierliche Gedanken durchglühten seine Seele, und in dem Enthusiasmus seines Herzens frohlockte er mehr über die Barmherzigkeit Gottes, als er über die furchtbaren Beweise seiner Macht zitterte. Endlich faßte er sich und eilte davon, wußte aber kaum wohin.
Plötzlich bemerkte er auf seinem Pfade die offene Thüre einer öden finstern Zelle, durch deren Dunkel aber eine Lampe strahlte, und bei dem Scheine derselben sah er drei wilde, nackte Gestalten todt auf der Erde liegen. Plötzlich hielt er seine Schritte an; denn unter den Schrecken dieses Jammerortes, des Spoliariums der Arena, hörte er eine leise Stimme den Namen Christi nennen.
Diesem Rufe könnte er nicht länger widerstehen; er trat in die Zelle, und seine Füße wurden von dem Blute benetzt, das in langsamen Strömen aus den Leichen über den Sand sich ergoß.
»Wer ruft den Namen des Sohnes Gottes?« fragte der Nazarener.
Keine Antwort. Endlich bemerkte Olinth, als er sich rings umsah, bei dem Scheine der Lampe einen
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