Die letzten Tage von Pompeji
flatterndes Kleid um seine gewaltige Brust und seine Glieder vor; mit festem Blicke scheint er auf die Stadt hinabzuschauen, mit einer Hand, wie Du sagtest, auf ihre schimmernden Straßen hinzudeuten, die andere aber – bemerkst Du es nicht? – gegen den Himmel zu erheben. Man möchte sagen, es sei der Geist eines riesenhaften Titanen, der über die schöne Welt brütet, die er verloren; trauernd um die Vergangenheit, zugleich aber auch eine gewisse Drohung für die Zukunft aussprechend.«
»Sollte dieser Berg in einigem Zusammenhang zu dem Erdbeben der vorigen Nacht stehen? Man sagt, vor vielen Jahrhunderten, fast in der frühesten Epoche, deren Andenken uns überliefert wurde, habe er Feuer ausgeworfen, wie noch jetzt der Aetna. Vielleicht lauern und glühen die Flammen immer noch in seiner Tiefe.«
»Das ist möglich!« entgegnete Glaukus nachdenklich.
»Du sagtest, Du glaubest nicht sehr an Magie?« fiel Nydia plötzlich ein. »Ich habe gehört, eine mächtige Hexe wohne inmitten der ausgebrannten Höhlen des Berges, und jene Wolke ist vielleicht der dunkle Schatten des bösen Geistes, mit dem sie verkehrt.«
»Du hast den Kopf voll von phantastischen Ideen Deines Heimathlandes Thessalien,« antwortete Glaukus, »und zeigst eine sonderbare Mischung von Verstand und all dem widerstrebenden Aberglauben.«
»Im Dunkeln sind wir immer abergläubisch,« entgegnete Nydia. »Sage mir,« fügte sie nach einer kleinen Pause hinzu, »sage mir, Glaukus, gleichen Alle, die schön sind, einander? Man sagt, Du seiest schön und Ione ebenfalls. Sind Eure Gesichter also dieselben? Ich glaube nicht, obgleich ich es vielleicht sollte.«
»Füge Ionen kein so schweres Unrecht zu,« antwortete Glaukus lachend, »denn ach, wir gleichen einander nicht einmal in der Weise, in welcher sich der Häßliche und der Schöne bisweilen gleichen. Ione's Haar ist dunkel, das meinige hell; Ione's Augen sind – von welcher Farbe, Ione? Ich kann sie so nicht sehen, wende sie mir zu. Oh, sind sie schwarz? Nein, sie sind zu sanft. Sind sie blau? Nein, sie sind zu tief; sie wechseln mit jedem Strahl der Sonne – ich weiß ihre Farbe nicht – aber die meinigen, süße Nydia, sind grau und glänzen nur, wenn Ione auf sie scheint! Ione's Wange ist ...«
»Ich verstehe auch nicht ein Wort von Deiner Beschreibung,« fiel Nydia verdrießlich ein, »ich begreife bloß, daß Ihr einander nicht gleicht, und bin erfreut darüber.«
»Wie so, Nydia?« sagte Ione.
Nydia erröthete leicht; »weil ich,« antwortete sie kalt, »mir Euch immer unter verschiedenen Formen gedacht habe, und man sich freut, zu erfahren, daß man Recht habe.«
»Und welchem Gegenstand dachtest Du, daß Glaukus gleiche?« fragte Ione sanft.
»Der Musik,« antwortete Nydia, die Augen niedersenkend.
»Du hast Recht,« dachte Ione.
»Und welche Ähnlichkeit hast Du Ione zugeschrieben?«
»Ich kann es noch nicht sagen,« antwortete das blinde Mädchen; »ich kenne sie noch nicht lange genug, um Gestalt und Zeichen für meine Muthmaßungen aufzufinden.«
»Dann will ich es Dir sagen,« sprach Glaukus leidenschaftlich; »sie ist die Sonne, die erwärmt, wir die Woge, die erfrischt.«
»Die Sonne verbrennt und die Woge ertränkt bisweilen,« antwortete Nydia.
»So nimm die Rose,« sprach Glaukus, »möge ihr Duft Dir ein Bild von Ione geben.«
»Ach, die Rosen verwelken,« rief die Neapolitanerin boshaft.
Unter solchem Gespräche verbrachten sie die Stunden – die Liebenden nur des Glanzes und des Lächelns der Liebe bewußt, das blinde Mädchen aber nur ihre Dunkelheit und ihre Qualen, die Wuth der Leidenschaft und ihre Wehen fühlend.
Während sie so von den Wellen hingetrieben wurden, ergriff Glaukus von Neuem die Laute und ließ ihre Saiten mit leichter Hand von einem so ungekünstelten und heiter schönen Liede ertönen, daß selbst Nydia aus ihren Träumen aufgeweckt wurde und einen Schrei der Bewunderung ausstieß.
»Du siehst, mein Kind,« rief Glaukus, »daß ich den Charakter der Liebesmusik noch retten kann, und daß ich Unrecht hatte, als ich sagte, das Glück könne nicht heiter sein. Höre Nydia! höre, theure Ione! höret
Die Geburt der Liebe. [Fußnote: Eingegeben durch ein von Pompeji hinweggenommenes und nunmehr im Museum zu Neapel sich befindendes Gemälde der Venus, wie sie aus dem Meere aufsteigt. ]
1.
Ein Stern aus des Gewölkes Siebe,
Ein Traumbild aus der Nächte Lauf,
So stieg die fleischgewordene Liebe
Aus der entzückten Tiefe auf.
Und
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