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Die letzten Worte des Wolfs

Die letzten Worte des Wolfs

Titel: Die letzten Worte des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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bereits fünf Schritte oberhalb des Wasserspiegels. Er konnte es schaffen, konnte überleben, im Gegensatz zu Hellas, Eljazokad und Rodraeg.
    Sein Messer verlor er, aber das kümmerte ihn nicht. Er sprang und zog sich, schlieferte aufwärts der Anziehungskraft der Welt entgegen – und wurde trotzdem noch erfaßt. Die Welle erwischte ihn, weil sie sich staute und noch höher wurde, als sie gegen die Steilküste schmetterte, aber die Hauptwucht ihrer Millionen und Abermillionen von Litern Wassermasse krachte unterhalb von Bestar gegen die Felsen. Die Klippen erzitterten unter der Macht dieses Ansturms. Bestar wurde von aufwärts rasendem Wellendruck eingehüllt und versuchte, sich im Gestein festzuklammern, aber das Gestein zerbröselte mürbe geschmettert unter seinen Fingern, und er wurde mitgenommen, hoch und hinauf, dann wieder hinab und hinaus, ein amokgelaufener Kreisel, ein Seestern mit vier Armen und einem wie Meergras wehenden Kopf. Aus seinem Mund und seiner Nase zog er eine Fahne aus Luftbläschen hinter sich her, aber er blieb dennoch bei Bewußtsein, stieß sich von Klippen ab und vermied es, zwischen aufgewirbeltem Kies, Muschelbruch, Findlingen und Schalentieren zermahlen zu werden. Zwischendurch kam er zweimal hoch und schöpfte Luft, und schließlich beruhigte sich die Glutsee von ihrem Ausbruchsversuch und senkte sich wieder in das nur oberflächlich unruhige Bett, das ihr seit jeher beschieden war.
    Rodraeg erlebte das Ganze wie einen Traum, so, als hätte er aus Versehen einen Schritt neben die Realität gemacht und sei nun jenseits aller Begreifbarkeiten angekommen. Er hatte keine Möglichkeit gehabt, die Welle kommen zu sehen, keinerlei Gelegenheit, sich auf das Kommende einzustellen. Mit einem Mal barst die eine Wand der Hütte. Gleichzeitig bewegte sich die Hütte und begann auf ihren Stelzbeinen zu rennen. Gleichzeitig drang Wasser ein. Gleichzeitig lösten sich sämtliche Wände auf unter dem Angriff einer von überall her hereinwütenden Flut.
    Einen einzigen Augenblick später kippte die Welt zur Seite, einen weiteren Augenblick später kullerte sie auf den Kopf und dann noch weiter. Eljazokad raste Luftblasen schreiend davon. Danahe wurde in den Trümmern von Strohmatten, Gerüstholz und Wandlehm herumgeschleudert wie eine Puppe in einem Suppentopf. Rodraeg hatte zwei ganz deutliche Empfindungen, als seine Lungen dem Druck nicht mehr standhalten und salzig wirbelndes Wasser atmen wollten: Die eine Empfindung war, daß er gerne noch Naenn und ihr Kind gesehen hätte; die andere, daß die letzten Worte des Wolfs nun Wahrheit wurden. Dann packte ihn die Gezeitenfrau an Kinn und Stirn, zog ihn aufwärts und hielt sein Gesicht in die frische, sommerliche Nachtluft, bis er sich ausgeatmet hatte.
    Â»Was ist passiert?« waren Rodraegs erste Worte, nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte. »Wo sind wir?«
    Â»Wir treiben in meiner Bucht, mein Söhnchen. Die Küste ist nicht weit, siehst du? Danahe ist auch hier, ich habe euch zwei Purzelbaumkinderchen aufgesammelt gleich Pusteblumenköpfen in einem Sommersturm.« Die Gezeitenfrau lachte keckernd. »Eure beiden Freunde, die nicht mit heraufgekommen sind, tollen irgendwo dort hinten zwischen den Klippen herum, ich kann sie schimpfen und erleichtert lachen hören. Nur der schöne Junge macht mir Sorgen. Ich fürchte, ich habe seine Witterung verloren. Das ist bemerkenswert, wirklich. Erst hielt ich die Welle für ein anderes, und nun ist das andere doch noch gekommen. Obwohl der kleine Krabbensammler das doch wohl nicht lenken konnte. Die Dinge geraten in Bewegung.«
    Â»Wo ist Eure Hütte?« japste Rodraeg, dem immer noch etliche Bausteine zum Verständnis ihrer Worte fehlten. Als er zu der Gezeitenfrau aufblickte, sah er sie im Schneidersitz auf dem Wasser hocken wie einen Frosch auf einem Seerosenblatt.
    Â»Die gibt es nicht mehr, was zu verschmerzen ist. Sie war muffig und feucht, und bei Nordwind knarrten die Stelzen. Aber kommt, ich bringe euch an Land, damit das Buch nicht allzu naß wird. Oder siehst du eine Möglichkeit, den schönen Jungen noch zu retten, mein Mädchen?«
    Â»Wenn das Boot ganz geblieben ist«, schnaufte Danahe, die ebenso wie Rodraeg paddeln und wassertreten mußte, um nicht unterzugehen. »Dann könnten wir weiter raus und ich könnte versuchen, ihn zu finden.«
    Â»Dann kommt. Schauen

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