Die leuchtende Stadt
stand. Antares spürte schwach die Neugier der drei – eine vorsichtige Mischung aus Furcht und gastfreundschaftlichen Gefühlen. Sie fühlte sich zu ihnen hingezogen, vielleicht, weil ihre Gefühle nicht so schroff waren wie bei den anderen.
»Ja«, antwortete sie; Antares bezog sich nicht auf die Worte der Wesen, sondern auf die Emotionen, die sie von ihnen empfing. Sie deutete mit der Hand auf Li-Jared und machte eine einschließende Geste, in der Hoffnung, die Meerfrauen würden verstehen, dass sie und der Karellianer zusammengehörten. Li-Jared bongte leise – ein Laut, den Antares als Gruß interpretierte.
Die Meereswesen unterhielten sich schnatternd, dann führten sie die Neuankömmlinge ins Habitat, durch mehrere kleinere Kammern und einen größeren, weniger spartanisch ausgestatteten großen Raum, bei dem es sich um einen Versammlungssaal zu handeln schien. Mehrere Meerfrauen waren anwesend, einige von ihnen beschäftigten sich in den Ecken des Saals mit viel kleineren (jugendlichen?) Meereswesen. Antares blieb stehen und sah ihnen neugierig zu; fiel die Aufgabe, den Nachwuchs zu erziehen, in dieser Kultur womöglich vorrangig den Frauen zu? Nirgends waren männliche Wesen zu sehen – abgesehen von den Wenigen, die die drei anscheinend hierarchisch herausgehobenen Meerfrauen eskortierten.
Der Boden des Saals wogte langsam auf und ab, wie die Oberfläche eines ruhigen Meeres. Die jungen Meereswesen hüpften und schaukelten auf dem Boden, was ihnen augenscheinlich große Freude bereitete. Befand sich vielleicht direkt unter ihren Füßen der Ozean? Tatsächlich; Antares’ Füße sanken leicht in das elastische Bodenmaterial ein, welches das Meer draußen hielt. Sie merkte, dass Li-Jared sich auf dem wogenden Boden unwohl fühlte. Sie selbst hingegen empfand die Bewegung als angenehm, beinahe schon als erquicklich.
Eine weitere Meerfrau kam zu ihnen und sprach mit ihrer Eskorte; sie schienen etwas zu beschließen. »Kaylay, kaylay«, meinte eines der männlichen Wesen und trieb Antares und Li-Jared zum Weitergehen an.
Man führte sie in einen Durchgang, der nichts anderes war als eine durchsichtige Röhre im Ozean. Im künstlichen Licht, das von draußen hereinfiel, sahen sie gelegentlich Tiere mit Flossen vorbeigeleiten, und einmal eine langes Geschöpf, das sich nach dem Rückstoßprinzip fortbewegte, indem es einen Wasserstrahl ausstieß. Am Ende der Röhre traten sie durch eine Membran, die fest und zugleich doch wieder nicht fest war. Sie gelangten in einen Raum, der sich völlig von den Räumen unterschied, die sie bislang gesehen hatten. Die Wände waren undurchsichtig und zur Hälfte mit dunklen Vorhängen verhangen, die offenbar aus verwebten Fasern bestanden. Vielleicht handelte es sich um eine Art Meditationsraum. Oder um eine Kultstätte. Antares sah sich um und erkannte, dass der größte Teil ihrer Eskorte draußen geblieben war; nur zwei Meerfrauen standen hinter ihr und Li-Jared. Sie schienen auf etwas zu warten.
»Ah-ko-bahh«, erklang eine Stimme hinter einem der weiter entfernten Vorhänge.
Antares wartete darauf, dass ihre Begleiterinnen antworten würden, doch als nichts dergleichen geschah, antwortete sie selbst. »Hallo?«, rief sie. »Ich heiße Antares. Mein Gefährte heißt Li-Jared. Können wir uns unterhalten?«
Eine Gestalt trat durch die Vorhänge. Eindeutig war es eine Meerfrau – und doch unterschied sie sich von den anderen. Man konnte ihr das hohe Alter ansehen, aber es war weniger das körperliche Alter: Vielmehr verströmte sie eine Aura großer Lebenserfahrung. Eine Aura des Wissens. »Ach-ko-lachh-bach«, sagte sie und trat weiter ins Licht. Sie trug eine Art Schultertuch, gefertigt aus einem Geflecht weichen, getrockneten Seetangs und Fäden aus Kupfer oder Gold. Es war, als leuchte ihr Gesicht schwach von innen heraus – vielleicht war das aber auch nur eine optische Täuschung und lag in Wirklichkeit an der Raumbeleuchtung. Ihre Augen waren größer als die ihrer Artgenossen und bewegten sich langsam, kaum merklich, während sie die Besucher musterte.
Antares spürte schließlich genau das, worauf sie gehofft hatte: dass sie es mit einer Art Anführerin zu tun hatte. Außerdem spürte sie noch etwas – ein seltsames Jucken an ihrer Kehle. Sie unterdrückte das Bedürfnis, sich an der betreffenden Stelle zu kratzen, die Stelle, wo ihre Wissenssteine saßen, doch das weibliche Meereswesen hatte Antares’ Steine bereits erblickt. Leuchteten sie
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