Die Lichtermagd
sie ihn stehen und ging in ihr kleines Quartier beim Stall zurück.
Wenzel ließ nicht lange auf sich warten. Er trug ein Samtbündel in den Armen. »Ich dachte, du bräuchtest neue Kleider.« Er legte den kostbaren blauen Stoff sowie ein goldfarbenes Untergewand auf ihr Lager.
»Danke. Ich weiß das zu schätzen.« Sie traf seinen Blick. »Alles.«
Wenzel nickte mitfühlend. »Es tut mir nur leid, dass du keinen Erfolg gehabt hast.«
»Ja. Mir auch.«
»Was willst du nun tun?«
Luzinde seufzte tief. Sie hatte gehofft, sich ausruhen zu können. Doch das war unmöglich. Karl hatte ihr drei Tage Vorsprung gegeben, um die Juden von Nürnberg zu warnen. Die musste sie nutzen. »Ich gehe zurück nach Nürnberg.Wir müssen retten, was noch zu retten ist.«
Wenzel setzte sich neben sie. »Wenn du möchtest …«, er zögerte.
Sie versuchte, in seinen Augen zu lesen. »Was?«
»… dann komme ich mit dir.«
»Und Eure Pflicht?« Sie nickte in Richtung der Gemächer des Königs.
»Er wird mich schon gehen lassen«, erwiderte der Ritter mit einem halben Lächeln. »Dich lässt er ja auch gehen.«
Da musste auch Luzinde schmunzeln. Doch sie wurde schnell
wieder ernst. »Gut. Wir sollten morgen gleich früh aufbrechen. Und wir brauchen ein zweites Pferd.«
»Du hast alles Geld, das du brauchst.« Wenzel zog ein Tuch mit den Edelsteinen hervor, die Luzinde dem König angeboten hatte. »Du solltest es nutzen.«
Luzinde musste die Tränen zurückhalten. Die Steine aus Gottschalks Besitz waren ein Vermögen wert. Doch es hatte nichts gebracht. Und Gottschalks Tod war umsonst gewesen. Sie vermisste den ruhigen alten Mann mehr, als sie angenommen hatte.Wie würde sie seiner Familie erklären, dass er nicht mehr da war? Sie wusste es nicht. Doch noch schwerer wog eine andere Bürde. Sie würde Mose und Rebekka und all den anderen berichten müssen, dass sie Nürnberg den Rücken würden kehren müssen. Und dass der König sie zu Freiwild erklärt hatte.
KAPITEL 22
Als der einäugige Schneider Romer in den niedrigen Bierkeller am Brunnengässchen hinabstieg, spürte er beinahe zärtlich der dicken Geldkatze unter seinem neuen Wams nach. Endlich segnete Gott ihn wieder mit Erfolg. Endlich konnte er die Schande, die ihm und seinem Vater angetan worden war, wieder ausmerzen. Man hatte ihn aus der Stadt geprügelt und gedemütigt. Nun würde er allen zeigen, dass man so nicht mit ihm umspringen konnte. Nein, er, Romer der Schneider, war wieder jemand! Und dieses Glück musste gefeiert werden. Das Starkbier, das bereits in seinem Blut kreiste, beschwingte ihn und ließ ihn im Inneren schon nach den Sternen greifen, während er die aus dem Sandstein gehauene Treppe hinabstieg.
Er beugte den Kopf und trat von der letzten Stufe in den kleinen, niedrigen Schankraum, den man wie so viele Keller tief in den Boden getrieben hatte, um das Bier in der Kühle brauen und lagern zu können. Doch das große Willkommen, das Romer sich in seinen Träumen ausgemalt hatte, blieb aus. Krämer, Schneider, Plattner und weitere Handwerker saßen beieinander und stemmten die Krüge. Das laute Gewirr der Stimmen war betäubend, der satte Dunst von Malz hing in der Luft, und an den verklebten Tischen, nicht mehr als ein paar zusammengezimmerte Planken, drängten sich die Männer.
Der Mann mit dem graustreifigen braunen Bart sah sich im Zwielicht der Talgkerzen nach bekannten Gesichtern um. Schließlich fand er den Krämer Caspar, der ihm des Öfteren Stoffe geliefert hatte, sowie Michel den Drahtschmied, bei
dem er die Ahle für seine Arbeit erstanden hatte. Sie saßen in großem Kreise am Tisch in der Wandnische und ließen die Krüge rundgehen.
»Caspar! Michel! Wollt ihr denn nicht einen alten Freund begrüßen?«, fragte Romer und breitete die Arme aus, während er zu den beiden hinüberging. Dabei stieß er sich den Kopf beinahe an dem sich herabschwingenden Rippenbogen der aus dem Felsen getriebenen Decke, die in ihrer Flachheit die Spitzbögen von Kirchen imitierte.
»Heh – Romer? Mann, Romer, bist du das?«, fragte Michel überrascht.
»Hat man dich nicht aus der Stadt geworfen?«, grinste Caspar. »Und gedroht, dir alle Knochen im Leib zu brechen, wenn du in den nächsten fünf Jahren wiederkommst?«
»Die haben eingesehen, dass sie sich geirrt haben, schätze ich«, erwiderte Romer knapp und zog sich einen Schemel heran. »Is doch nichts Falsches daran, sein Recht zu fordern, oder?«
»Recht so!«, stimmte Michel ihm zu. Dann
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