Die Lichtermagd
wissen, woher er das Geld bekäme. Er selbst wollte es ja auch nicht wissen. »Ich beeile mich.«
Kaum hatte Caspar das Haus verlassen, sog er die kühle Luft ein. Dann rannte er los. Am Brunnen und am Dominikanerkloster vorbei, über den verwaisten Markt an den Brottischen zum Sebaldus-Kirchhof, und immer geradeaus zu dem besten Gasthaus in Nürnberg, dem Roten Ross. Trotz später Stunde und geschlossener Läden hörte man unten im Schankraum noch lautes Gejohle. Caspar lief in die Hofdurchfahrt und platzte dann mit der Tür in die große Kammer. Stützende Holzbalken, Tische und Bänke beengten den L-förmigen Raum, der voller Menschen war. In dieser kalten Jahreszeit hockte man gerne an einem offenen Kamin zusammen und wärmte sich auch von innen. Trotzdem hatte Caspar schnell gefunden, wen er suchte.
»Romer!«, keuchte Caspar. »Ich brauche – ich muss dich sprechen.« Damit zog er den kleineren Mann auch schon am Ärmel von der Bank und hinaus in die dunkle Hofdurchfahrt.
»Mann!«, beschwerte sich Romer und ordnete den bedruckten Samt wieder, den der Händler geknautscht hatte. »Was ist in dich gefahren, Caspar? Ich habe mich fein unterhalten! Und was habt ihr nur alle mit meinem neuen Wams?«
»Ich brauche Geld!«
»Geld? Als könnten wir das nicht alle -«
»Romer, ich meine es ernst. Ich brauche einen Teil von deinem Vorschuss.«
»Meinem Vorschuss? Welchem Vorschuss?«, fragte der Einäugige verdaddert.
»Du hast gesagt, du hast für gewisse Arbeiten einen Vorschuss bekommen. Und davon brauche ich jetzt was. Stell dich nicht so dumm, verdammt!«
» Den Vorschuss meinst du. Davon ist kaum noch etwas übrig, und ich brauch’s noch bis -«
»Ich brauch’s jetzt . Meine kleine Cristein ist krank. Es ist schlimm, und sie hat den Arzt nötig. Und dafür brauche ich Geld.« Erschrocken hörte er sich selbst zu und erfasste endlich das Ausmaß der Situation. Die Angst griff mit einer kalten Faust nach seinem Magen. »Bitte, Romer, meine Kleine – sie stirbt sonst.«
Der Einäugige starrte ihn einen Moment lang an, als müsse er etwas kalkulieren. Dann nickte er und klimperte mit dem Beutel. »Gut. Aber ich komme mit dir. Ich will sehen, wo meine Münzen hinrollen.«
»Danke. Danke!« Caspar rannte schon los, doch Romer eilte noch zurück in den Schankraum und kehrte kurz darauf mit seinem Umhang wieder. Jetzt erst stellte der Händler fest, dass es regnete. Er hatte nicht bemerkt, wie nass er bereits geworden war.
Zusammen rannten die beiden dann zum Heilig-Geist-Spital. Dort in der Nähe wohnte der Physicus Meister Marquart, der die Medizin in Bologna studiert hatte und sich seine Kunst deswegen teuer bezahlen ließ. So auch dieses Mal. Der rundliche Mann, der im Gesicht einen geckenhaften Schnurrbart trug, streckte die Hand aus, als ihm das Problem geschildert wurde, und forderte einen Schilling im Voraus – er murmelte etwas von schlechten Erfahrungen mit verschuldeten Leuten.
Doch er kam mit. Auf dem Weg zurück zum Haus verfluchte Caspar jedes von Meister Marquarts Pfunden.
Am Krankenbett angekommen beugte der Arzt sich mit sorgenvollem Gesicht über das Mädchen, das auf seinem dunklen Lager noch immer nach Luft rang. Ihr Gesicht wirkte bei dem Licht der blakenden Kerzenlaterne verzerrt, fast wie eine teuflische Maske. Die Augen lagen tief in den dunklen Höhlen und die Haut spannte sich über den Knochen. Caspar glaubte schon, in einen Totenschädel zu blicken. Diese Gedanken erschreckten ihn. War seine Cristein wirklich besessen, wie er vorhin vermutet hatte? Hätte er besser gleich zu einem Priester rennen sollen? Er spürte, dass er die Kammer nicht betreten konnte.
»Sie ist vergiftet«, urteilte der Arzt, nachdem er einen Blick in die Augen Cristeins getan hatte und sich hatte schildern lassen, wie es ihr bereits ergangen war. »Sie hat geschissen und gekotzt, das ist gut, so kommt das Gift raus. Aber ob sie’s überstehen wird …«, er wog den Kopf betrübt hin und her, »das hängt davon ab, wie viel’s war. Hat sie denn etwas Ungewöhnliches gegessen oder getrunken?«
»Ich … ich hab uns Fleisch gekauft«, erwiderte Caspar tonlos. »Ich wollte den Kindern etwas Gutes tun.«
»Fleisch! Und woher?«
»Vom Heinrich, ganz unten an den Fleischbänken. Er hatte billiges Rindfleisch.«
»Heinrich, hm?«, schnaufte der Arzt. »Er hat oft so billiges Fleisch, das es mich wundert. Warum verkauft jemand das Fleisch so billig, wenn’s ihm doch ein paar Pfennig mehr pro Tag
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