Die Lichtermagd
Almut sagt, sie sei sparsam gewesen mit dem Schinken, und Almut hat sich bislang noch selten um mehr als ein, zwei Tage mit dem Fleisch verschätzt. Jetzt aber ist’s mehr als eine Woche vor dem Schlachttag! Also heraus damit – wer hat’s genommen?« Doch als sich niemand meldete, da schäumte die Meisterin vor Wut. »Also werden wir’s anders herausfinden.Wer seinen Platz verlässt, bevor ich’s sage, der verlässt auch diesen Hof. Waltraud, Kunigunde – ihr durchsucht die Kammern.« Kunigunde aus der Familie Schweppermann, die nach der Meisterin die angesehenste Begine zu Pillenreuth war, und die MagdWaltraud gehorchten.
Die anderen Frauen, die Knechte und Kinder standen drau ßen im Hof und erduldeten, dass der feine Septemberregen sie langsam von oben durchnässte, während die Feuchtigkeit des schlammigen Bodens ihnen an den Füßen fror. Das Wetter war bereits kühl, der himmlische Segen nicht angenehm. Niemand wagte zu sprechen oder Meisterin Elisabeth anzusehen. Die saß inmitten ihrer Pfunde auf dem hölzernen Thron und überwachte die Menge mit grimmiger Miene. Endlich traute Luzinde
sich, zu Margaret hinüberzusehen.Würde man Reste des Schinkens bei ihr finden? Verriet die Tat die Diebin selbst? Doch die Begine schien nicht nervös.
Das Doppelgespann begann die Suche im Gesindehaus und blieb dort lange verschwunden. Als sie schließlich wie in heiliger Mission herausgestapft kamen, um sich die Scheune mit den Lagern der Knechte vorzunehmen, atmete Luzinde auf. Sie hätte Margaret zugetraut, einen verräterischen Rest des Schinkens in ihre Sachen zu legen, um den Verdacht auf sie zu lenken.
Luzinde fragte sich noch, ob die Meisterin sie hier wohl stehen lassen würde, bis etwas gefunden wäre, da gellte ein triumphierender Schrei von hinter der Mauer herüber. Wenige Herzschläge später eilten die beiden Frauen wieder auf den Hof, Frau Kunigunde mit einer schmalen weißen Speckrinde in der Hand.
»’s war in der Strohbude im Stall«, klagte sie an. »Die Ratten haben sich schon darüber hergemacht!«
»Strohbude? Was für eine Strohbude?«, grunzte die Meisterin.
Frau Kunigunde schwieg, doch Waltraud zögerte keinen Herzschlag. »Der Bursche Thomas verkriecht sich dort immer, Meisterin!«
Aller Augen wandten sich zu dem fünfjährigen Jungen, der, erschrocken über die plötzliche Aufmerksamkeit, hinter dem Rock der Mutter verschwand. Nur Luzinde starrte Frau Margaret an, hinter deren Maske aus rechtschaffener Entrüstung ein selbstzufriedenes Grinsen lungerte.
»Er war’s nicht! Frau Meisterin, der Thomas war’s nicht! Thomas, sag der Meisterin, dass du’s nicht warst!« Verzweifelt stellte Anna sich vor ihren Sohn. Doch aus dem Jungen war nichts herauszubekommen; je mehr auf ihn eingeredet wurde, desto weniger war er willens zu sprechen.
»Thomas!«, spie die Meisterin aus und erhob sich von ihrem Sitz. »Das bedeutet dreißig Rutenschläge und kein Abendbrot!« Ein Gemurmel erhob sich unter den Frauen.
»Dreißig Schläge! Aber Frau Meisterin, er ist doch noch ein Bub!«, flehte Anna.
»Und weil er ein Bub ist, bekommt er nur die Schläge, und ich werfe ihn nicht vom Hof! Und jetzt genug davon!« Damit ließ die Meisterin ihren Stuhl ins Gebäude tragen und warf die Tür hinter sich zu.
Auch Luzinde war blass geworden. Dreißig Schläge – das war schon für einen Mann mit der Statur eines Ochsen hart genug, geschweige denn für einen Fünfjährigen! Nach einer solchen Strafe, zumal einer unverdienten, würde der Bursche seines Lebens nicht wieder froh werden. Sie sah zu Margaret hinüber. Der war das Schicksal von Thomas offenbar gleichgültig. Als sie dem vorwurfsvollen Blick Luzindes begegnete, schlich für einen kurzen Moment Unsicherheit in den Gesichtsausdruck der Begine. Dann schüttelte sie warnend den Kopf und legte in einer Geste, die nur Luzinde verstand, ihre Hand auf den Bauch und beschrieb damit einen Kreis.
Luzinde konnte ihre Wut über dieses verschlagene Weib nur schwer unterdrücken. Doch sie nickte widerwillig und wandte sich ab. Sicher, sie selbst nahm es oft nicht so genau mit den Regeln vor Ort. Doch sie hatte noch nie jemanden für eine Tat büßen lassen, die sie selbst begangen hatte! Sie eilte zu Anna hinüber. »Anna, der Bube war es sicher nicht. Er hätte ja immer genau die Zeiten abpassen müssen, in denen niemand auf dem Hof oder aus der Küche in der Vorratskammer gewesen ist. Der Junge ist doch kaum geschickt genug, einer Glucke ihr Ei zu
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