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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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Spee nutzte den winzigen Vorteil, hielt in weit ausholendem Bogen auf Woltorf zu. Aber schon war der Unbekannte wieder da, noch ein Schlag, dann noch einer und noch einer sauste auf ihn herab. Die ersten Häuser waren schon in Sichtweite, aber je näher sie kamen, desto wütender wurden die Attacken. Etwas drang in seine linke Schulter ein. Zweimal. Er sah das Aufblitzen des Stahles, spürte gleich darauf die harten Schläge des Degens auf seinem Hinterkopf, ein Streich traf ihn über der Stirn und hinterließ eine klaffende Wunde. Erst als sie das erste Haus des Weilers erreichten, gab der andere auf, machte kehrt und galoppierte zurück, dem Wald zu.
    Nur schemenhaft und kurz davor, ohnmächtig vom Pferd zu fallen, nahm Spee die Leute wahr, die auf dem Kirchplatz standen und auf ihn warteten. Die Gespräche endeten abrupt und wichen entsetztem Schweigen. Friedrich Spee klammerte sich an die Mähne des Pferdes, schwankend wie ein Betrunkener. Nur zögernd kamen sie näher, ein paar Frauen fingen an zu weinen. Als Erster fasste sich ausgerechnet der von Spee abgesetzte protestantische Pfarrer. Tyle Walckeling hieß er, aber man nannte ihn wegen seiner Hitzköpfigkeit nur den Tollen Tyle.
    »Um Gottes willen!«, entfuhr es Walckeling. »Wer hat Euch so zugerichtet? Ihr müsst sofort zu einem Arzt!«
    Spee schüttelte leicht, aber energisch seinen blutüberströmten Kopf. »Nein! Das kann warten! Zuerst kommt der
    Gottesdienst! Helft mir vom Pferd und bringt mich auf die Kanzel!«
    Einige versuchten ihn umzustimmen, sich wenigstens zuerst seine Wunden versorgen zu lassen, doch Spee wollte nichts davon hören. Aber auch der Tolle Tyle blieb stur, riss auf der Stelle sein Hemd in Streifen und legte dem Verwundeten einen behelfsmäßigen Verband an. Auf zwei kräftige Männer gestützt, schleppte sich Spee in die Kirche. Die steile, schmale Treppe zur Kanzel bewältigte er mehr kriechend als im Gehen.
    Oben angekommen, gelang es ihm nur mit Mühe, sich aufrecht zu halten. Die Hände fest in der Brüstung verkrallt, predigte er das Gleichnis vom Guten Hirten, der seine ihm anvertraute Herde nicht im Stich lässt, sondern eher sein Leben für sie hingibt. Unten war es so still wie noch nie. Sie alle spürten in diesem Augenblick die Kraft und die Ausstrahlung, die von dem blutverschmierten Mann ausging. Der da oben gehörte nicht zu jenen Pfaffen, deren einziges Mittel, sie gefügig zu machen, das Drohen mit dem Landesverweis war. Zugegeben, das hatte er auch schon gemacht, war aber andererseits für jeden da, der Not hatte. Er war einer, der nicht über ihr Elend hinwegsah. Der sich beim Kurfürsten für die Bauern einsetzte, dafür sorgte, dass sie wenigstens Saatgut bekamen, und der bei der Verteilung keinen Unterschied zwischen Katholiken und den noch nicht bekehrten Protestanten machte. Bei den Wohlhabenden sammelte er Almosen für die Bedürftigen, spendete den Kranken Trost und war einer, dem selbst der letzte Lumpensammler nicht gleichgültig war. Ja, sogar sein eigenes Geld gab er her. Das hatten sie von seinem Begleiter, dem Laienbruder Theodatus Dyant erfahren, der vor ein paar Tagen eine Fuhre Saatkorn hierhergebracht und sich dabei verplappert hatte.
    Spee konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Mit zitternder Stimme hob er an zum Schlusslied: »Dich, Gott, loben wir, Dich, Herr, preisen wir. Dir, dem ewigen Vater, huldigt das Erdenrund…« Der letzte Ton war verklungen, aber niemand wagte es, als Erster aufzustehen. Alle Augen waren auf den Pater gerichtet, der sich an der Balustrade zum Treppengeländer vortastete. Schwankend hielt er inne, sah nochmals nach unten. »Bin ich euch denn ein schlechter Hirte?
    Bleibe ich nicht bei…«
    Seine Stimme versagte, kraftlos lösten sich die Finger, die Hände griffen ins Leere und schon schlug der Körper dumpf zu Boden. Erstarrt sahen alle nach oben.
    »Komm!« Es war der Vorsteher, der sich als Erster fasste und seinen Nachbarn anstieß. Behutsam trugen sie Spee nach unten, hinaus auf den Kirchplatz, legten den Ohnmächtigen auf eilends herbeigeschaffte Decken.
    »Sechs Kopfwunden, ein tiefer Schnitt über der Stirn, die Schädeldecke von sieben oder acht stumpfen Hieben zumindest lädiert, wenn nicht gar zertrümmert, zwei Schwertstiche in der linken Schulter!«, sagte Walckeling, sich schnaufend aufrichtend, zu den Umstehenden. »Bringt mir etwas zum Verbinden, eine Schere und zwei rohe Eier!«
    Vorsichtig schnitt er einige Hautlappen ab und strich die

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