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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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verrührten Eier auf ein Tuch, das er sorgfältig über die klaffenden Wunden legte. »Mehr kann ich nicht tun!«, meinte er dann schulterzuckend. »Jemand muss ihn zurück nach Peine bringen, wo man ihn besser versorgen kann!«
    »Das überlebt er nicht!«, wandte einer ein.
    »Dann stirbt er eben hier!«, gab der Tolle Tyle barsch zurück.
    Nach einigem erregten Hin und Her banden sie zu viert den immer noch Bewusstlosen mit Stricken auf sein Pferd. Der Vorsteher schwang sich in den Sattel seines Reittiers, um den Pater von der Seite her zu stützen, während ein paar andere, Walckeling voran, zu Fuß vorausschritten.
    In der Stadt sprach es sich schnell herum, dass es draußen bei Woltorf einen Überfall gegeben habe und ein Pfaffe übel zugerichtet worden sei. Der Jesuit sei es, wurde gemunkelt und nicht wenige hörten es mit einer gewissen Häme.
    Sechsundzwanzig Ortschaften rund um Peine hatte er in kurzer Zeit dazu gebracht, sich wieder zum katholischen Glauben zu bekennen. Das war allerdings nicht sonderlich schwierig gewesen, denn die erste Frage der Menschen lautete immer, ob sich die Preise für Taufen, Trauungen und Beerdigungen erhöhen würden, worauf Spee stets antwortete, das würde er sogar kostenlos machen. Der Kurfürst hatte, durch diesen Erfolg ermutigt, den Befehl erlassen, dass in der widerspenstigen Stadt keine protestantischen Räte mehr gewählt werden durften. Und fast auf den Tag genau vor einem Monat hatte er ein Exempel statuiert und den aufmüpfigen und auch in Peine bekannten lutherischen Pfarrer Johannes Bissendorf von Gödringen köpfen lassen, der auf seiner Schmähschrift gegen die Jesuiten und den Papst beharrte und kein Jota davon zurücknehmen wollte. Das Urteil lautete jedoch auf Landfriedensbruch, Missachtung der Reichsgesetze und Gotteslästerung. Konnte es da jemand Peines sonst durchaus besonnenen Bürgern verdenken, dass sie das alles nicht so hinnehmen wollten und für ein paar Münzen einen Strolch dingten, den lästigen Pfaffen aus dem Weg zu räumen?
    Sogleich machte ein Gerücht die Runde. War es nicht sonderbar, dass ausgerechnet der abgesetzte protestantische Pfarrer so schnell zur Stelle und so besorgt um den Spee gewesen war? Dass er ihn auch noch nach Peine
    zurückbegleitet und unverzüglich auf einen Arzt aus Hildesheim gedrängt hatte? Womöglich war er ein Mitwisser, zuzutrauen wäre es ihm. Schließlich hieß er nicht umsonst der Tolle Tyle.

    11

    Am Dienstag nach Pfingsten erreichte Burr ein Telegramm. Es enthielt lediglich zwei Worte. George Lincoln hielt es erst für einen Streich, den ihm jemand spielen wollte, aber der Bote bestätigte ihm mehrmals, es komme wirklich aus Basel von der dortigen Polizei.
    »Tasche gefunden«, stand da, sonst nichts.
    Fassungslos schüttelte Burr immer wieder den Kopf. Was hatte der Dekan gesagt, als er ihm vom Verlust der Dissertation erzählt hatte? »Wenn der Dieb ein Katholik ist, dann geht er an Pfingsten zur Beichte und Sie bekommen Ihre Tasche wieder!«
    Die Erleichterung wich jedoch augenblicklich kalter Ernüchterung, fast so, als hätte man ihm einen Kübel Wasser über den Kopf geschüttet. Was war jetzt wichtiger? Die Dissertation oder das Loos-Dokument?
    George Lincoln konnte sich nicht entscheiden und je länger er die Fakten gegeneinander abwägte, desto unsicherer wurde er. In der Zeitung von heute war ein groß aufgemachter Artikel über den Fund erschienen und hatte ihn als Sensation gewertet.
    Bei dieser einen Meldung würde es – davon war Burr überzeugt – nicht bleiben. Am späten Nachmittag suchte er den Bibliothekar Keuffer auf.
    »Mein lieber Keuffer, ich bin in der Zwickmühle und weiß nicht, was ich tun soll. Stellen Sie sich vor, meine fast fertige Doktorarbeit ist aufgetaucht. Eigentlich müsste ich unverzüglich nach Basel, um sie abzuholen…«
    »Das gibt es doch nicht!«, unterbrach ihn der Bibliothekar ungläubig. »Es ist doch schon eine halbe Ewigkeit her, dass sie Ihnen abhanden gekommen ist!«
    »Ja, zu Ostern. Aber wenn ich jetzt nach Basel fahre… Ich brauche unbedingt eine Abschrift von dem Loos-Traktat, und zwar, bevor es weiteren Gutachtern zur Überprüfung der Echtheit vorgelegt wird. Mein Gott, mir zerrinnt die Zeit wie Sand zwischen den Fingern. Ich möchte die Loos-Schrift nicht aus den Augen lassen, ohne eine Kopie für Cornell zu haben!«
    »Das ist verständlich. So etwas findet man ja nicht alle Tage!« Keuffer überlegte. »Ich kenne einen älteren ehemaligen

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