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Die Liebe am Nachmittag

Die Liebe am Nachmittag

Titel: Die Liebe am Nachmittag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erno Szep
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erste
Du
herausgerutscht wäre.
    Jetzt aber bin ich schon beim Zollhausring ein paar Mal ins Du verfallen. Und als ich dem Mädchen in der Trambahn die Hand reichte, sagte ich nur zerstreut: Servus.

6.   Nacht
    Diesmal geht es nicht um dieses Mädchen,sondern um mich.
    Ich bin fünfundvierzig. Schon seit dem letzten Sommer.
    Fünfundvierzig, fünfundvierzig.
    Wenn jemand mit fünfundvierzig Minister wird, ist er ein junger Minister.
    Aber ein fünfundvierzigjähriger Arbeiter wird in der Fabrik nicht mehr eingestellt.
    Ich weiß nicht, woran ich bin.
    Oft bekomme ich beim Träumen einen glühenden Nadelstich ins Herz, einen ganz schrecklichen. Ich bin ewig der Gleiche; wenn ich einst mit neunzig im Sterben liege, wird der Tod mit mir ein zehnjähriges Kind hinwegraffen.
    Den Freunden, meinen Bekannten werde ich es nachmachen, auch dreißig sein und vierzig und fünfzig. Genau wie sie allmählich ruhiger und ernster werden; aber das ist pure Schauspielerei. Ich kann ja wirklich gar nicht glauben, dass die Gesetze des Lebens wie für alle anderen auch für mich gelten. Kann mich nur wundern, staunen. Stelle mir vor, dass ich wieder ein fünfundzwanzigjähriger Jüngling sein könnte, wenn ich mich irgendwo ganz weit entfernt niederlassen würde, wo mich niemand kennt.
    Als ich vierzig wurde, war das eine fatale Angelegenheit für mich.
    Ich erinnere mich, schon ein halbes Jahr vorher begann ich mich davor zu fürchten, als wäre jemand hinter mir her: inwelche Richtung kann ich entkommen? Wie die Zigarette, die man sogleich austreten muss, wenn die Straßenbahn kommt, genoss ich dieses Bewusstsein: ich bin doch erst neununddreißig, also noch ein Dreißiger. Noch drei Monate, noch zwei, noch fünf Wochen, zwei Wochen. Zum Glück rauchte mir wegen Geldmangels fortwährend der Kopf, das waren meine Sorgen. Nicht das Leben lebte in mir, nicht der Schmerz tat mir weh.
    Meine Geburtstage schätzte ich nicht. Sie gehören den Reichen, wie die Feiertage. Niemals, auch nicht als Bub, habe ich es irgendjemandem gesagt, wenn ich Geburtstag hatte. Auch hat mir nie jemand ein Geburtstagsgeschenk gemacht. Den Geschwistern gewöhnte ich ab, an meinen Geburtstag zu denken. An meinem Namenstag kam es gelegentlich vor, dass irgendeine Frau, mit der ich eine Liaison hatte, Blumen anschleppte oder vorbeischickte, aber das war reine Wichtigtuerei. Ich selbst sann an meinen Geburtstagen vor mich hin, sah gelangweilt in die Gegend, stieß höchstens mal einen Seufzer aus. Nichts, ein alberner Eintrag, habe einfach keine Beziehung dazu.
    Nur meine Mutter dachte an meine Geburtstage, sie schrieb mir jedes Mal einen Brief, und seit sie auch in Pest wohnt, musste ich an dem Tag bei ihr zu Abend essen. Mit keinem Wort erwähnte sie, welcher Tag gerade war, nein, sie umarmte mich ein wenig länger, wenn sie mich küsste, sie strich mit der Hand über meinen Rücken und sagte nur: ach, mein lieber, lieber Junge und weinte ein wenig dazu.
    Als dann der vierzigste, dieser Jüngste Tag kam, stellte ich mich, wie ich mich gut erinnern kann, am Abend zuvor darauf ein, den ganzen nächsten Tag blindwütig zu arbeiten, meinen Verstand, mein Herz einfach totzuschlagen. So würde ich dann wenigstens mit mir zufrieden sein, weil ich mich so brav verhalten hatte. Und es wäre doch auch schön, wie ich mir selbst mit dieser Besinnungslosigkeit und Unempfindlichkeitgegenüber dem Leben für die Zukunft ein Beispiel gab. Meine einzige Möglichkeit zu entkommen, mir Kraft zu holen und aufrichtig mit mir zu sein, konnte doch nur darin bestehen, dass ich vor mir selbst nichts mehr gelte, dass ich meine Person vergesse, dass ich mich, solange ich lebe, nie mehr auf ein Selbstgespräch einlasse.
    Ach Gott, wie schmählich bin ich doch an diesem vierzigsten Geburtstag gescheitert.
    Auch in Pest gibt es solche Wintertage, an denen der Himmel dunkelbraun, die Luft von fahler Dunkelheit ist, die Menschen stumm auf dem Gehsteig kommen und gehen, Trambahn und Autos kaum zu vernehmen sind. Das ist trauriger als London. Diese Stimmung überkam mich am Morgen. Eine lustlose Trübsinnigkeit nahm Besitz von mir, nachdem ich aufgestanden war, so als wäre eine starke Grippe im Anzug.
    Arbeiten konnte ich an diesem Tag gar nichts. Auch war es mir unmöglich zu lesen. Ich erinnere mich, dass ich es versucht habe, und gegen Mittag legte ich mich wieder für eine Stunde zum Schlafen, zum Sterben ins Bett. Damals hatte ich gerade keine Geliebte, ein paar Wochen vorher hatte ich

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