Die Liebe am Nachmittag
würde ich hochgewachsen und athletisch sein, eine feste, klangvolle Stimme haben oder auch eine tiefe, volltönende, ich weiß es nicht, jetzt kommt mir vor, sie klingt bubenhaft wie eh und je. Man merkt esselbst gar nicht, wie und wann sich die eigene Stimme im Laufe der Jahre verändert; wer mich seit meiner Schulzeit nicht gehört hat, dem erscheint meine jetzige Stimme vielleicht voller oder tiefer, er würde einen Augenblick lang lauschen, um den Unterschied festzustellen, mich nur ansehen und gar nichts sagen.
Bis zum Vierzigsten, so dachte ich, hätte ich meinen Leichtsinn, meine Fehler und Schwächen längst hinter mir gelassen. Doch sie sind mir alle geblieben. Nur die Haare lichten sich, und die Zähne bekommen Löcher.
Den ganzen Tag über räusperte ich mich, hüstelte, um das Heulen zu unterdrücken.
Mit vierzig fing ich an, etwas von meinem Alter zu unterschlagen, sagte stets, ich bin vierzig. Ja, ich behauptete sogar, ich würde bald vierzig. Ich schämte mich, dass ich schon über vierzig war und weder Oberst noch Direktor, nirgendwo Vizepräsident. Und eigentlich keinerlei Alter und Prestige benötigte.
Von nun an pflegte ich die Frage nach dem Alter mit allerlei Witzeleien abzutun.
Bei den Männern ziemt es sich ebenso wenig, danach zu fragen wie bei Frauen.
Ich könnte auch einfach irgendeine langweilige Zahl sagen.
Wie alt ich bin? Zwanzig. Mit zwanzig bin ich sitzen geblieben und seitdem wiederhole ich.
Oder: Ich weiß nicht genau, habe mich längere Zeit nicht gewogen.
Oder: in Celsius oder Fahrenheit?
Ich würde es ja sagen, meine Teuerste, fürchte nur, dass ich es bei der Gelegenheit auch selber hören muss.
An weitere Sprüche erinnere ich mich nicht mehr.
Sehr wohl erinnere ich mich an einen Tag, als ich zum Nachsinnen einmal den Kopf hob und dabei an meinem Hals entlangstrich. Plötzlich blieben meine Finger an dem Adamsapfelhängen. Da schau her, wie ich diesen Knorpel am Hals jetzt spüre. Ganz so, als wäre er angeschwollen. Ich fingerte herum, drückte mit Daumen und Zeigefinger dagegen. Es tat nicht weh. Ich stand auf, ging zum Spiegel. Betrachtete meinen Hals. Ja, der Adamsapfel steht weit vor. Oder nicht? Doch, ganz gewiss. Von der Seite sieht man ihn nicht, von vorn sehe ich ihn, ganz gleich, ob ich den Kopf hochstrecke oder gerade halte. Habe ich vielleicht in letzter Zeit etwas abgenommen und steht er deshalb so heraus? Ich bin ziemlich mager, natürlich habe ich einen Adamsapfel. Dass ich ihn bisher gar nicht wahrgenommen habe! Doch, ich hätte ihn wahrgenommen, wenn ich schon immer so einen Adamsapfel gehabt hätte. Warum bemerke ich ihn bei anderen? Ich erinnere mich an Jungen, an magere Bürschchen im Gymnasium, die schon einen richtigen Adamsapfel hatten. Ich aber besaß keinen, bestimmt nicht, ich würde mich daran erinnern, weil ich stolz darauf gewesen wäre wie diese gewissen Schulkameraden, die mit ihrem Adamsapfel, diesem Attribut der Männlichkeit, immer angegeben haben, ebenso mit ihren Koteletten und diesem kleinen Schmutzfleck unter der Nase, dem Bärtchen in spe. Offenbar ist der Adamsapfel etwas ganz Individuelles. Ich setzte mich zurück an den Schreibtisch, griff mir aber immer wieder an den Hals. Schloss die Augen, um meine Bekannten Revue passieren zu lassen. Wer von ihnen hatte einen Adamsapfel, wer nicht? Wie alt sind sie eigentlich? Von einigen sah ich deutlich den Hals vor mir, bei anderen war ich unsicher, konnte mit dem Problem nicht ins Reine kommen. Ab morgen werde ich auf die Männerhälse achten. Mein Adamsapfel ist jedenfalls erst nach vierzig so zutage getreten. Falls er doch schon da gewesen, meinem Hirn und meinen Augen aber nicht aufgefallen ist, so dürfte die Tatsache, dass ich jetzt darüber stolpere, ein Omen für irgendetwas sein. Fürs Alter. Es erschreckt mich, pflegen die eifrigen Billardspieler zu sagen, wenn sie beginnen, Fehlstöße zu machen.
Seit diesem Tag fing ich an, in mein Inneres zu lauschen und auch nach außen. Mich zu orientieren. Zu ertasten. Halt zu suchen. Und so weiter zu wandeln in dieser unbekannten Welt über vierzig, den Fünfzigern entgegen.
Ich werde darüber berichten.
7. Nacht
Doch muss ich auf meine Geliebte zurückkommen, auf die Dame. Als läge der Frühling, jener vorletzte Frühling, als es anfing mit ihr, schon hundert Jahre zurück.
Anfangs rief sie mich jeden Vormittag an, zwischen dem Frühstück und ihrem morgendlichen Bad oder während ihrer Rekreation nach der Massage, um zehn,
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